Neue Löcher in Berlin (17.11.99)
Der Schirm(er) bekommt Löcher, die KVen werden langsam naß
Nach mehreren Sozial- und Landessozialgerichtsentscheidungen wird die Hartnäckigkeit der Zulassungs- und Berufsungsausschüsse hinsichtlich ihrer Auslegung des PTG-Zeitfensterparagraphen immer unverständlicher. Nun hat auch das Sozialgericht Hannover das PTG dahingehend ausgelegt, daß dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen sei, es müsse ein bestimmter Umfang oder gar 250 Stunden an Teilnahme an der Versorgung im sog. Zeitfenster nachgewiesen werden. Die vom PTG geforderte Teilnahme liege – in Übereinstimmung mit dem Thüringischen LSG und den Entscheidungen verschiedener anderer Sozialgerichte - auch dann vor, wenn nur ein Patient behandelt wurde. Alle, die an der bisherigen Schirmer-Interpretation weiterhin festhielten, sollten den Schirm, mit dem sie sich vor dem großen Regen der zulassungswilligen psychologischen Psychotherapeuten schützen wollten, jetzt endlich zuklappen, damit der Rechtsfrieden einkehrt.
Leider wird der Zeitfenstermißbrauch auch von einigen Vertretern der Psychologischen Psychotherapeuten nicht nur gebilligt, sondern in den Zulassungs- und Fachausschüssen unterstützt. So gibt es glaubwürdige Meldungen, daß Widersprüche der KVen gegen ausgesprochene Zulassungen durch Interventionen ehemaliger Richtlinienpsychologen veranlasst wurden. Auch der Vorsitzende der Vereinigung der Kassenpsychotherapeuten, Hans-Jochen Weidhaas, hält die Zeitfensterhandhabung nach einer Meldung im Deutschen Ärzteblatt vom 8.10.99 "im Grundsatz für richtig. Einige KVen und Kassen, räumt er ein, hätten die Zulassungspraxis indes in unschöner Weise traktiert, indem sie völlig pauschal Widerspruch eingelegt hätten". (Wir verweisen hier auch auf frühere Diskussionen zum Zeitfenster, wo auch aufgezeigt wird, wie das Schirmerpapier durch Auslassung eines Satzteiles in der Gesetzesbegründung seine falsche Akzentuierung erhielt.)
Wir entnehmen der Homepage des VPP dankend nachfolgenden Bericht:
Sozialgericht Hannover öffnet Schirmer-Fenster
Mit Beschluß vom 16.09.1999 hat das Sozialgericht Hannover (Az.: S 24 KA 479/99 ER) dem Eilantrag einer Diplom-Psychologin, die im Zeitraum Juni 1994 bis Juni 1997 einen Behandlungsfall mit 35 Stunden im Wege der Kostenerstattung abgerechnet hatte, stattgegeben und ihre vorläufige Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit bis zum Ende des Hauptsacheverfahrens angeordnet.
Der Zulassungsausschuß hatte ihren Antrag mit der Begründung abgelehnt, im Zeitfenster keine ausreichende Behandlungstätigkeit ausgeübt zu haben.
Das Sozialgericht war dagegen der Auffassung, die Antragstellerin mit den von ihr nachgewiesenen Therapiestunden die Voraussetzungen des § 95 Abs. 10 Nr. 3 SGB V Abs. 10 SGB V erfülle, denn dem Wortlaut des Gesetzes sei zu entnehmen, daß es auf den Umfang der Teilnahme an der Versorgung im sog. Zeitfenster nicht ankomme. Diese liege – in Übereinstimmung mit dem Thüringischen LSG und den Entscheidungen verschiedener anderer Sozialgerichte - auch dann vor, wenn nur ein Patient behandelt wurde.
Unerheblich sei dabei, ob die Teilnahme im Rahmen der Kostenerstattung oder des Delegationsverfahrens durchgeführt wurde. Ebenso verlange das Gesetz nicht, daß die Teilnahme während des gesamten Zeitraums erfolgt sein muß. Da der Wortlaut des Gesetzes hinreichend eindeutig sei, bedürfe es keiner weiteren ergänzenden Auslegung.
Gegenteiliges könne auch den Gesetzesmaterialien nicht entnommen werden, zumal der Gesetzgeber dort keine Anhaltspunkte für die Bemessung des aus der ambulanten Versorgung erzielten Einkommens gegeben habe. Es genüge vielmehr, daß "unter anderem" aus der ambulanten Versorgung Erwerbseinkommen erzielt wurde.
Eine zusätzliche Qualifizierung der Teilnahme, etwa nach zeitlichem Umfang, Intensität oder Anteil am Erwerbseinkommen sei nicht erforderlich.
Bemerkenswert erscheint der in der Begründung an die KV (– die hatte eingewendet, mit der Einführung des Zeitfensters habe der Gesetzgeber verhindern wollen, daß Psychotherapeuten in Kenntnis des Gesetzgebungsverfahrens einen Besitzstand aufbauten -) gerichtete Hinweis, daß die Antragstellerin im Mai 1997 mit ihrer Praxisgründung zu einem Zeitpunkt begonnen habe, bevor das Gesetz überhaupt in den Bundestag eingebracht war. Der Vorschlag des Gesundheitsausschusses zur Einführung des Zeitfenster habe erst im November 1997 vorgelegen. Die Antragstellerin habe zu diesem Zeitpunkt gar nicht in Kenntnis des Gesetzgebungsverfahrens einen Besitzstand aufbauen können, weil bereits alle notwendigen Investitionen getätigt waren und der Praxisbetrieb begonnen hatte. Im November 1997 habe sie keinen Einfluß mehr darauf gehabt, ob sie die neuen Zulassungsvoraussetzungen erfüllen würde oder nicht. Die Antragstellerin habe ihre Praxis zu einem Zeitpunkt aufgebaut, in dem das Gesetzgebungsverfahren im Lauf und es nicht klar gewesen sei, wie in dem Gesetz die Voraussetzungen für eine Zulassung geregelt werden würden.
Genau dieses Problem wird auch eine Reihe anderer Psychotherapeuten betreffen, die erst im Laufe des Jahres 1997 bzw. im Vorfeld der Gesetzgebung mit der Praxisgründung begonnen haben und mit dem, was später mit dem Gesetz auf sie zukam, noch gar nicht rechnen konnten. Entgegen der KV- Politik, die späten Praxisgründern regelmäßig so etwas wie ein bösgläubiges Handeln nach dem 24.06.1997 unterstellen will, läßt das Gericht erkennen, daß auch das vor der Einführung des Zeitfensters – und letztlich auch das bis zur endgültigen Verabschiedung des Gesetzes - in die Praxisgründung gesetzte Vertrauen als schutzwürdig anzusehen ist.
Dieser erste in Niedersachsen entschiedene Fall hat gleichzeitig präjudizielle Wirkung, weil dem Sozialgericht in Hannover überregional die ausschließliche Zuständigkeit für Kassenarztsachen zugewiesen ist.
Mitgeteilt von:
Rechtsanwalt Wolfram Plener
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