Wir entnehmen dankend vom vpp
Landessozialgericht Berlin
kippt Schirmer-Fenster
(Auszug aus der schriftlichen Begründung der Beschlüsse vom 22.9.1999)
Das Landessozialgericht Berlin in zwei Beschlüssen vom 22.9.1999 begründet,
warum es die 250-Stunden-Forderung für das Zeitfenster für rechtswidrig hält.
Einmal ging es um eine Delegationspsychologin, einmal um eine Kostenerstattlerin.
Die rechtliche Würdigung fiel in beiden Fällen gleich aus: es kommt danach
letztlich allein darauf an, daß im Zeitfenster der Wille zum Ausdruck gebracht
wurde, psychotherapeutische Leistungen auch Versicherten der gesetzlichen
Krankenversicherung zur Verfügung zu stellen. Die Frage, ob dieser Wille
kontinuierlich zum Ausdruck gebracht worden sein mußte, ließ das
Landessozialgericht ausdrücklich offen.
Nachfolgend soll der insoweit entscheidende Auszug der Begründungen
wiedergegeben werde, wobei die Abweichungen, die sich in den beiden Verfahren
wegen der unterschiedlichen Art des Abrechnungsverhältnisses ergeben haben,
gegenübergestellt werden. Das Verfahren L 7 B 16/99 KA ER betraf die
Delegationspsychologin, das Verfahren L 7 B 18/99 KA ER die Kostenerstattlerin.
Antragsgegner war in beiden Fällen der Berufungsausschuß für Ärzte,
beigeladen war jeweils die Kassenärztliche Vereinigung Berlin.
Aus den Gründen:
(...)
L 7 B 16/99 KA ER:
Hiernach ist festzustellen,
daß die Antragstellerin die Voraussetzungen für eine bedarfsunabhängige
Zulassung als psychologische Psychotherapeuten nach § 95 Abs. 10 SGB V erfüllt
hat. Die Antragstellerin hat bis zum 31. Dezember 1998 die Voraussetzungen der
Approbation nach § 12 Abs. 1 PsychThG und des Fachkundenachweises nach § 95 c
Satz 2 Nr. 3 SGB V erbracht. Sie wirkte im Delegationsverfahren nach den
Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die
Durchführung der Psychotherapie in der vertragsärztlichen Versorgung
(Psychotherapie-Richtlinien in der Neufassung vom 3. Juli 1987, zuletzt
geändert durch Bekanntmachung vom 12. März 1997) mit und führte
Verhaltenstherapien durch. Ihrer Approbation legte sie rechtzeitig bis zum 31.
März 1999 vor. Sie hat zudem in der Zeit vom 25. Juni 1994 bis 24. Juni 1997 an
der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der
gesetzlichen Krankenversicherung teilgenommen. Unschädlich ist hierbei, daß
die Antragstellerin nicht 250 Behandlungsstunden nachweisen kann, sondern
vielmehr lediglich rund 150 Stunden. Denn sie erfüllt hiermit gleichfalls den
Begriff der Teilnahme nach § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V.
L 7 B 18/99 KA ER:
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners hat die
Antragstellerin auch in der Zeit vom 25. Juni 1994 bis 24. Juni 1997 in
ausreichendem Umfang an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der
Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung teilgenommen. Dabei kommt es
nicht entscheidend darauf an, ob die Antragstellerin im "Zeitfenster"
144 Behandlungsstunden zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung
abgerechnet hat, oder ob dies, wie der Antragsgegner meint, nur 90 bzw. 106
Stunden gewesen sind. Alle drei Teilnahmeverfahren erfüllen der Begriff der
Teilnahme in § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V.
Ob eine Zulassung oder Ermächtigung eine
kontinuierliche Teilnahme im Dreijahreszeitraum erfordert, kann offenbleiben.
Weder dem Gesetzestext noch der Beschlußempfehlung des Bundestagsausschusses
für Gesundheit (Bundestagsdrucksache 13/9212) kann eindeutig entnommen werden,
welchen Umfang die in § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V vorausgesetzte Teilnahme
an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der
gesetzlichen Krankenversicherung haben soll. Angesichts des bestehenden
Auslegungsbedarfs hält es der Senat für geboten, sich an den für die
Zulassung der Ärzte geltenden Regeln zu orientieren. Nach § 95 Abs. 6 SGB V
ist eine Zulassung u. a. dann zu entziehen, wenn der Vertragsarzt seine
Tätigkeit nicht mehr ausübt. Nach Auffassung des Senats kann wegen der
Verwandtschaft der Begriffe "Teilnahme an der ambulanten Versorgung"
und der "Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit" bei der
Auslegung des Begriffs der Teilnahme auf die Rechtsprechung zur Ausübung der
vertragsärztlichen Tätigkeit zurückgegriffen werden. Im Urteil vom 19.
Dezember 1984 (USK 84272) hat das Bundessozialgericht ausgeführt, daß ein
Vertragsarzt seine Tätigkeit u. a. dann noch ausübt, wenn er seine
Sprechstunden entsprechend den Bedürfnissen einer ausreichenden und
zweckmäßigen kassenärztlichen Versorgung und den Gegebenheiten seines
Praxisbereichs festsetzt. Auch wenn nur noch in geringem Umfang Verrichtungen
vorgenommen werden, beweist dies nicht, daß der Arzt keine kassenärztliche
Tätigkeit mehr ausübt. Davon kann nur dann nicht mehr gesprochen werden, wenn
der Arzt zusätzlich nicht mehr den Willen zur kontinuierlichen Teilnahme an der
vertragsärztlichen Versorgung hat. Wendet man diese Grundsätze auf den hier zu
beurteilenden Fall an, läßt sich nicht feststellen, daß die Antragstellerin
nicht an der ambulanten Versorgung der Versicherten der gesetzlichen
Krankenversicherung teilgenommen hat. Sie hat den Willen gehabt, ihre
psychotherapeutischen Leistungen auch Versicherten der gesetzlichen
Krankenversicherung zur Verfügung zu stellen und hatte dies auch tatsächlich
getan, was sich
L 7 B 16/99 KA ER:
aus den vorgelegten Behandlungsnachweisen zeigt,
die eine regelmäßige Behandlung der Versicherten im Dreijahreszeitraum
belegen. Zudem war die Antragstellerin in die von der Beigeladenen geführten
Liste der nichtärztlichen Therapeuten aufgenommen. Insofern wird auch hierdurch
ihr Wille nach außen dokumentiert, an der vertragsärztlichen Versorgung
teilzunehmen.
L 7 B 18/99 KA ER:
in der regelmäßigen Teilnahme am
Kostenerstattungsverfahren im "Zeitfenster" zeigt, die mit dem als
Anlage B 7 zum Schriftsatz vom 12. September 1999 eingereichten Rechnungen
glaubhaft gemacht ist.
Spricht ein geringer Umfang vertragsärztlicher
Tätigkeit nicht gegen die Ausübung einer solchen, so muß dies nach Auffassung
des Senats für die geforderte Teilnahme im sogenannten Zeitfenster ebenso
gelten.
Weder der Wortlaut der Vorschrift noch die
zitierte Beschlußempfehlung geben einen Hinweis darauf, daß eine zeitlich nach
Stunden zu bemessende Mindestgrenze für die Erfüllung des Begriffes der
Teilnahme gewollt war. Derartige Erwägungen, in im Ausschuß durchaus
angestellt worden sein können, haben im Gesetzestext jedenfalls keinen
Niederschlag gefunden.
Auch der Beschlußempfehlung läßt sich kein
Anhaltspunkt dafür entnehmen, daß der Gesetzgeber gewollt haben könnte, daß
nur Einkünfte, die über der Geringfügigkeitsgrenze des § 8 SGB IV liegen,
eine ausreichende Teilnahme im "Zeitfenster" begründen könnten. In
der Beschlußempfehlung ist insoweit lediglich die Rede davon, daß u. a.
Einkommen aus der psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der
gesetzlichen Krankenversicherung erzielt worden sein muß. Es liegen keine
Indizien dafür vor, daß der Gesetzgeber den Inhalt des Begriffs der Teilnahme
durch einen Rückgriff auf die versicherungs- und beitragsrechtlich relevante
Vorschrift des § 8 SGB IV bestimmt sehen wollte.
Soweit der Antragsgegner Härtegesichtspunkte für
die Annahme einer Mindestgrenze von Behandlungsstunden anführt, ist diesen
durch die Auslegung des § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V Rechnung zu tragen und
nicht durch Bezugnahme auf eine Vorschrift, deren versicherungs- und
beitragsrechtlicher Zweck mit der hier zu entscheidenden Frage eines Rechts auf
bedarfsunabhängige Zulassung nichts zu tun hat.
Gegen das Erfordernis einer bestimmten Stundenzahl
für die Erfüllung des Begriffs der Teilnahme spricht auch, daß der
Gesetzgeber eine solche Zahl gerade nicht in das Gesetz aufgenommen hat, obwohl
das PsychThG in vielen Tatbeständen ziffernmäßige Merkmale aufführt (vgl. zu
den verschiedenen Auffassungen zum Begriff der Teilnahme: Plagmann,
Gutachterliche Stellungnahme zur Auslegung des § 95 X [3] SGB V sowie 95 XI [3]
vom 7. Dezember 1998 für: Deutscher Psychotherapeutenverband (DPTV); Tittelbach
SGb '99, S. 397 ff; Redecker, Gutachterliche Äußerung zu Auslegungsfragen der
Übergangsvorschriften im Psychotherapeutengesetz vom 3. November 1998,
erstattet für den Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP)
e.V.; Schirmer MedR 98, 435, 442; Behnsen SGb '98, S. 336; Pulverich a.a.O., S.
194, Salzl/Steege a.a.O., S. 44; Stock NJW 1999 S. 2702 ff.).
L 7 B 16/99 KA ER:
Angesichts der drohenden Existenzgefährdung
besteht auch ein Anordnungsgrund. Denn die Versagung einer vorläufigen
Zulassung würde bedeuten, daß die Antragstellerin keine neuen Patienten mehr
behandeln, sondern nur noch die Behandlung der bei ihr bereits aufgenommenen
Patienten zu Ende bringen könnte. Eine darüber hinausgehende Rechtsstellung
kommt ihr auch nicht über die Überleitungsvorschrift des Artikel 10 PsychThG
zu. Denn dort wird nur die Rechtsstellung der bis zum 31. Dezember 1998 an der
psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der gesetzlichen
Krankenversicherung teilnehmenden nichtärztlichen Leistungserbringer bis zur
Entscheidung des Zulassungsausschusses unberührt gelassen. Auf eine
bestandskräftige Entscheidung des Zulassungsausschusses wird hierin
ausdrücklich nicht abgestellt. Die fehlende Möglichkeit, neue Patienten der
gesetzlichen Krankenversicherung zwecks Behandlung aufzunehmen, würde aber zu
einer fortschreitenden finanziellen Einbuße für die Antragstellerin und damit
zu einer wesentlichen Existenzbedrohung führen. Nach ihren glaubhaften Angaben
bezieht sie 40 % ihres Gesamteinkommens aus den Behandlungen der Versicherten
der gesetzlichen Krankenversicherung; zudem muß sie für die Nutzung der
Räumlichkeiten (...) 1.000,00 DM monatlich zahlen.
Die Beschwerde des Antragsgegners kann deshalb
keinen Erfolg haben.
L 7 B 18/99 KA ER:
Da die Voraussetzungen für die
Erteilung einer Ermächtigung nach Auffassung des Senats glaubhaft gemacht sind,
war der Antragsgegner zu verpflichten, der Antragstellerin eine entsprechende
Ermächtigung zu erteilen. Dabei hat er allerdings im Bescheid darzulegen,
welche Voraussetzungen an die Nachqualifikation im Fünf-Jahreszeitraum zu
stellen sind.
Die Antragstellerin hat einen
Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, weil sie in dem als eidesstattliche
Versicherung bezeichneten Schreiben vom 15. August 1999 nachvollziehbar
versichert hat, daß sie im Jahr 1999 ohne Versicherte aus der gesetzlichen
Krankenversicherung nur Bruttoeinkünfte in Höhe von ... DM erzielt hat,
während diese im Jahr 1997 bei ... DM und im Jahre bei 1998 bei ... DM lagen.
Außerdem liegt es nahe, daß die gesetzlichen Krankenkassen derzeit keine neuen
Kostenübernahmen in Kostenerstattungsverfahren bewilligen.
Mitgeteilt von:
Rechtsanwalt Jörn W. Gleiniger
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Telefon (030) 327 962 - 0, Telefax (030) 327 962 - 20
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