Zum Kommentar der Berliner
Blätter für Psychoanalyse und Psychotherapie
zur Stellungnahme der DGPT
Stellungnahme der DGPT zum
Entwurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem
Jahr 2000 (GKV-Gesundheitsreform 2000) Drs. 14/1245 –
siehe dazu: Text des Entwurfs
Deutscher Bundestag 11011 Berlin
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Geschäftsführender Vorstand: Dipl.-Psych.
Anne-Marie Schlösser (Vorsitzende) Dr.
med. Kurt Höhfeld Dr.
med. Karin Bell Geschäftsführer/Justitiar: www.dgpt.de; E-Mail: psa@dgpt.de
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Hamburg, den 26.08.99
Sehr geehrte Damen und Herren,
namens der DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR PSYCHOANALYSE, PSYCHOTHERAPIE, PSYCHOSOMATIK UND TIEFENPSYCHOLOGIE (DGPT) e. V übersende ich Ihnen unsere Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum
Entwurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 (GKV-Gesundheitsreform 2000) Drs. 14/1245 –
und bitte Sie um Berücksichtigung bei der anstehenden Diskussion. Gern stehe ich auch persönlich zur Verfügung, wenn dies angezeigt ist.
Nach dem Willen der Regierung und wiederholten Aussagen der Bundesgesundheitsministerin Frau Fischer soll das "Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 (GKV-Gesundheitsreform 2000) mit seinen weitreichenden Umstrukturierungen und Neuformulierungen die Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen verbessern; vor allem aber soll das Gesetz die Sicherung der Beitragssatz - Stabilität der Gesetzlichen Krankenversicherungen garantieren. Dies sei eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, daß die Lohn- Nebenkosten stabil bleiben und keine weiteren Arbeitsplätze verloren gingen bzw. möglichst neue Arbeitsplätze geschaffen würden.
Die DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR PSYCHOANALYSE, PSYCHOTHERAPIE, PSYCHOSOMATIK UND TIEFENPSYCHOLOGIE (DGPT) geht davon aus, daß es einer gemeinsamen Abstimmung aller an diesem Bereich Beteiligten, der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), der Gesetzlichen Krankenversicherungen, des Bundesministeriums für Gesundheit und nicht zuletzt der Leistungserbringer selber bedarf, um zu tragfähigen und letztlich das Patientenwohl schützenden und stärkenden Regelungen zu gelangen. Deshalb erklären wir unsere ausdrückliche Bereitschaft zu gemeinsamen Gesprächen, in denen therapeutische und ökonomische Interessen gleichgewichtig einander gegenübergestellt und abgewogen werden.
Als Fachgesellschaft und zugleich Berufsverband betonen wir vor allem fachspezifische Bedingungen der Ärztlichen und Psychologischen Psychotherapeuten und wissen uns einig mit dem Verband der Analytischen Kinder - und Jugendlichen – Psychotherapeuten (VAKJP). Im einzelnen sehen wir besonders bei folgenden Themen einen akuten Diskussionsbedarf, dem wir gern in einem gemeinsamen Gespräch nachkommen möchten:
1.) Geplante Strukturveränderungen:a) in der Versorgung
b) in den Kassenärztlichen Vereinigungen,
2.) Qualitätssicherung in der Fachpsychotherapie,
3.) Honorarentwicklung unter einem Globalbudget.
Zu 1.a) Geplante Strukturveränderungen in der Versorgung:
Das in den §§ 64, 65 a, 73 und letztlich auch im § 140 geplante Bonusprinzip zur Bevorzugung der hausärztlichen gegenüber der fachärztlichen Versorgung enthält nach unserer Meinung mehrere Gefahren. Zum einen führt es zu verdeckten Einkaufsmodellen. Diese lehnen wir ab. Denn in Zukunft müssen die Krankenkassen bei direkten Verträgen mit Behandlern oder Behandlergruppen kein "Einvernehmen" mehr mit der jeweiligen KV herstellen (§ 64), sondern nur das "Benehmen" und auch diese Verpflichtung kann unter Umständen wegfallen. Des weiteren ist dadurch der Sicherstellungsauftrag der KVen nicht mehr garantiert.
Gerade die politisch gewollte Einbeziehung der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder - und Jugendlichen – Psychotherapeuten in die KVen ("Integrationsmodell") durch das Psychotherapeutengesetz (PsychThG) diente aber dazu, den Sicherstellungsauftrag der KVen zu erhalten.
Im übrigen enthält das Bonusprinzip die Gefahr, indizierte Psychotherapie zu verhindern, wenn falscher Sparsamkeitswille des Erstbehandlers eine oftmals auf Angst oder Scham beruhende Vermeidungstendenz des Patienten verstärkt, Heilung in einer Psychotherapie zu suchen.
Außerdem kann das gerade erst geschaffene freie Zugangsrecht des Patienten zum Fachpsychotherapeuten unter einer solchen Regelung Schaden nehmen und mit ihm die sich entwickelnde ambulante psychotherapeutische Versorgung. Mit kritischer Reserve betrachten wir auch die jetzigen Vorgaben des § 140 zur "Integrierten Versorgung". Im Grundsatz ist die Vernetzung und Durchlässigkeit von Versorgungsstrukturen zu begrüßen, wenn die strukturellen Gegebenheiten vor Ort in ihrer Gesamtschau angemessen berücksichtigt werden. Die jetzigen Vorgaben des § 140 lassen zu viele Fragen offen, so daß ohne deren Beantwortung eine Einschätzung über die Folgen unmöglich ist. Wir halten die Befürchtung für begründet, daß die Psychotherapie ans Ende der Behandlungsmaßnahmen gestellt wird, wenn sogenannte "kostengünstigere" Maßnahmen, wie Medikamentenverordnung, sich als unzureichend erwiesen haben. In der Vergangenheit gab es ausreichende Belege dafür, daß diese Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen ist.
Zu 1.b) Geplante Strukturveränderungen in den Kassenärztlichen Vereinigungen:
Grundsätzliche Veränderungen, wie sie der jetzige Referentenentwurf in den §§ 77, 79 und 81 durch die Schaffung eines Verwaltungsrates und eines hauptamtlichen Vorstands vorsieht, lehnen wir besonders deshalb ab, weil sie eine "gezielte Reduzierung der KVen auf eine von den Ärzten selbst finanzierte Überwachungsbehörde der eigenen Mitglieder" darstellt, die den "Kassenärztlichen Vereinigungen damit den Status von Erfüllungsgehilfen der Krankenkassen zur Gewährleistung des ambulanten Versorgungsbudgets" zuweist, wie dies pointiert der Vorsitzende der KBV Dr. Schorre formulierte. Erhaltenswert an der gegenwärtigen Regelung erscheint auf jeden Fall die freie Wählbarkeit und die Verantwortung der gewählten Vertreter für ihre Patienten und die Behandler. Dies war jedenfalls der tragende Gedanke bei der Schaffung der KVen. Die geplanten Strukturveränderungen vertragen sich weder mit diesem Demokratieverständnis noch sind sie durch den erklärten Willen der Bundesgesundheitsministerin, die Beitragssatz-Stabilität der Gesetzlichen Krankenversicherungen zu garantieren, zu begründen.
Aber sie schwächen die Position der verfaßten Ärzteschaft, zu der mit den Ärztlichen Psychotherapeuten jetzt auch die gesetzlich anerkannten Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder - und Jugendlichen – Psychotherapeuten gehören.
Zu 2.) Qualitätssicherung in der Fachpsychotherapie:
Bereits jahrzentelang vor der im § 135 ff. des gültigen SGB V vorgeschriebenen Sicherung der Qualität der Leistungserbringung bestand eine kodifizierte Qualitätssicherung in Form der Berichtspflicht bei der Antragstellung mit nachfolgender Bewertung durch einen Gutachter, wie dies die "Vereinbarungen über die Anwendung von Psychotherapien in der vertragsärztlichen Versorgung" als Teil der Verträge der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) (Teil D, §§ 12 ff.) vorschrieben. Diese vorgeschriebene Qualitätssicherung in der Fachpsychotherapie wird traditionell durch eine weitverbreitete freiwillige Intervision und Bildung von Qualitätszirkeln wirkungsvoll ergänzt.
Qualitätssicherung ist eine unabdingbare Voraussetzung jeder psychotherapeutischen Versorgung. Die jetzige Neuformulierung im § 136 ist aber aus unserer fachlichen Sicht in zweierlei Hinsicht problematisch. Erstens ist damit zu rechnen, daß eine von außen verordnete Kontrolle kontraproduktive Tendenzen erzeugt und zweitens, daß diese Qualitätssicherung nicht nur keine Einsparungen, sondern sogar Kostensteigerungen verursachen kann.
Zudem lassen die jetzigen Formulierungen des § 136 eine Zunahme von Bürokratie befürchten, die den tatsächlichen Notwendigkeiten einer intensiven psychotherapeutischen Beziehungsgestaltung abträglich sein wird. Die Besonderheit unseres Faches zwingt zudem zu einer peniblen Beachtung des Datenschutzes und erfordert in Teilbereichen, z. B. der Leitliniendiskussion, andere Überlegungen als z. B. im Bereich der Inneren Medizin oder der Chirurgie. Die Patientenpersönlichkeit, der jeweilige individuelle Lebenskontext und das individuelle Zusammenspiel mit dem Behandler sind viel schwerer normierbar. Gerade bei Regelungen der zukünftigen psychotherapeutischen Qualitätssicherung sollten die Erfahrungen und die neueren Modellvorhaben unserer Fachgesellschaften abgerufen und einbezogen werden.
Zu 3.) Honorarentwicklung unter einem Globalbudget:
Die Verabschiedung des Psychotherapeutengesetzes und die dadurch erfolgte Zunahme an Behandlern wird voraussichtlich erstmals eine einigermaßen ausreichende, flächendeckende Versorgung mit Psychotherapie gewährleisten. Es ist jedoch mit aller Deutlichkeit absehbar, daß die Verbesserung der Versorgung gleichzeitig dazu führt, daß unter den Bedingungen eines Globalbudgets die wirtschaftliche Existenz der Behandler nicht gesichert ist, sondern sich verschlechtern wird. Die aktuellen Berechnungen zur Auswirkung des sektoralen Budgets für Psychotherapie lassen erkennen, daß die Kosten für die vom Psychotherapeutengesetz beabsichtigte Verbesserung der Versorgung zu niedrig angesetzt sind. Hier wurde ein Versorgungsbereich eröffnet und seine Finanzierung durch die GKV festgeschrieben, ohne daß bisher ausreichend diskutiert wurde oder gesetzliche Vorgaben geschaffen wurden, wie die dazu notwendigen Mittel zusätzlich erschlossen werden können. Uns erscheint es fraglich, ob Rationalisierungsreserven, wenn sie denn erschlossen werden, gerade zu einer Förderung des Psychotherapiebereiches verwandt werden.
Längerfristig erscheint die Wiedereinführung eines festen Punktwertes gerade für die Fachpsychotherapie deshalb gerechtfertigt, weil diese Leistungen nur persönlich erbracht werden können, also nicht delegierbar sind und weil pro Zeiteinheit durch die festen zeitlichen Vorgaben keine Mengenausweitung erfolgen kann. Im übrigen plädieren wir dafür, Rationalisierungsreserven in allen Gesundheitsbereichen zu suchen. Sie sollten also in gleichem Umfang auch bei den Krankenkassen gesucht werden, denen ein gleichartiger Sparzwang aufzuerlegen ist.
Im Anhang folgt eine kommentierende Stellungnahme zu den einzelnen Paragraphen des Gesetzentwurfs, die unsere Sichtweise und Beurteilung weiter verdeutlichen soll.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Kurt Höhfeld
(Stellvertr. Vorsitzender)
Anlage zur Stellungnahme
Zu § 11, Abs. 1 Leistungsarten:
Die ausdrückliche Betonung der tertiären Prävention wird begrüßt. Nicht nur, aber insbesondere im psychotherapeutischen Bereich sind die Grenzen zwischen sekundärer und tertiärer Prävention und Krankenbehandlung und Rehabilitation jedoch fließend, und die erforderlichen Maßnahmen gehen ineinander über. Die gewählte Formulierung könnte in dem Sinne mißverstanden werden, daß diese Behandlungen ausschließlich dem Bereich der Gesundheitsvorsorge zugerechnet werden. Eine Klarstellung sollte darauf hinweisen, daß zusätzliche Maßnahmen gemeint sind, die neben notwendiger Krankenbehandlung erfolgen.
In diesem Zusammenhang (s. auch § 23, Abs.1, Satz 3) weisen wir darauf hin, daß in den Psychotherapierichtlinien davon ausgegangen wird, daß Psychotherapie "zur Heilung oder Besserung" von Krankheiten im Rahmen der GKV indiziert wird, d.h. eine ausreichend gute Prognose vorausgesetzt wird. Sollte der Leistungsanspruch in dem Sinne ausgeweitet werden, daß auch "die Verhütung von Verschlimmerungen" erfaßt wird, so würde diese Verbesserung der Versorgung chronisch Kranker, auch durch allgemeine präventive Lebensberatung, eine Leistungsausweitung bewirken.
Zu § 20 Gesundheitsförderung, Prävention, Selbsthilfe:
Die Zielsetzung der Förderung von präventiven Maßnahmen und Selbsthilfegruppen und die Etablierung einheitlicher Standards unter Einbeziehung der Selbstverwaltung ist zu begrüßen. Sie begrenzt und verhindert die derzeitige Unübersichtlichkeit in diesem Bereich. Die in diesem Bereich unverzichtbaren psychosozialen Aspekte sollten in Absatz 4 eine besondere Erwähnung finden. Die besondere Hervorhebung dieses Aspektes rechtfertigt sich durch die damit verbundene Betonung des ganzheitlichen Ansatzes in der Medizin.
Ergänzend zu Selbsthilfegruppen haben sich fachspezifisch geleitete Krankheitsverarbeitungsgruppen als präventive und rehabilitative Maßnahmen bewährt. Auch diese sollten in Absatz 4 aufgeführt werden.
Weiterhin gibt es Erfahrungen über die Wirksamkeit von Maßnahmen der primären Prävention im Sinne fachspezifischer Beratung über psychologische Zusammenhänge bei Opfern von Gewalt und Unfällen sowie bei Störungen in der Eltern-Kind-Beziehung. Auch die Arbeit mit Angehörigen von psychisch Kranken (z. B. Psychosekranken, Suchtkranken) sollte gefördert werden.
Zu § 34a Positivliste:
Im Bereich der Psychopharmakologie findet eine schnelle Entwicklung statt, die die Behandlung von schwer psychisch Kranken mit neuen Medikamenten ermöglicht. Diese neuen Medikamente sind nicht nur besser wirksam, sondern haben auch deutlich geringere Nebenwirkungen. Wenn an die Einführung einer Positivliste gedacht wird, muß gewährleistet werden, daß neue Behandlungsmöglichkeiten auch übernommen werden können, wenn dadurch erhöhte Kosten entstehen. Das Verhältnis zwischen Positivliste und der Formulierung in § 35, Abs. 1
"...daß Therapiemöglichkeiten nicht eingeschränkt werden und medizinisch notwendige Verordnungsalternativen zu Verfügung stehen"
erscheint nicht ausreichend klar. In § 34 a müßte ein Bezug zu § 35 hergestellt werden.
Zu § 37a Soziotherapie:
Die Verbesserung der Versorgung schwer psychisch Kranker wird ausdrücklich begrüßt. Falls dadurch Mehrkosten entstehen, die nicht durch die Vermeidung von Krankenhauseinweisungen kompensiert werden (z. B. bei Ausweitung der Indikation), muß dies im Budget ausreichend berücksichtigt werden. Allerdings erscheint es uns schwierig festzustellen, welche Einsparungen entstehen und wie dafür Sorge getragen werden soll, daß diese Einsparungen dem ambulanten Bereich zufließen.
Zu § 40 Komplexe ambulante Rehabilitation:
Bei den Maßnahmen der ambulanten komplexen Rehabilitation ist für eine ausreichende Berücksichtigung psychosozialer Aspekte Sorge zu tragen. Psychotherapie hat im Rahmen der ambulanten Rehabilitation einen hohen zukunftsträchtigen Stellenwert, z. B. bei psychosomatisch Kranken und Suchtkranken. Dies gilt auch bei psychosomatischen Krankheiten mit entsprechenden psychosozialen Aspekten. Als Beispiele seien die positiven Auswirkungen von Koronargruppen, von Gruppen mit Asthmakranken und Brustkrebspatientinnen erwähnt.
Zu § 64 Vereinbarungen mit Leistungserbringern
Die bisherige Formulierung des § 64 erscheint uns ausreichend. Dagegen erscheint es uns nicht sachgerecht, daß die bisherige obligatorische Einbeziehung der Kassenärztlichen Vereinigungen für die psychotherapeutische Versorgung aufgegeben und sogar ausgeschlossen wird.
Die Möglichkeit, Modellprojekte mit einzelnen Leistungserbringern abzuschließen, kann in unserem Bereich zu einer Überbetonung von Kostengesichtspunkten führen, die letztlich zu Lasten der Patienten geht. So hat z. B. das Forschungsprojekt zur Depressionsbehandlung des NIMH in den USA zwar kurzfristige Behandlungserfolge mit den angewandten Kurztherapieverfahren gezeigt, ein großer Teil der Patienten war jedoch nach einem Jahr wieder behandlungsbedürftig. Die vorgesehene Regelung begünstigt in unserem Bereich die ungute Tendenz eines unkritischen "schneller und billiger". Es erscheint ausreichend, daß Modellprojekte dann initiiert werden, wenn 50% der qualifizierten Leistungserbringer dies empfehlen. Nur so ist eine ausgewogene Beurteilung der im Modellprojekt geplanten Maßnahmen mit Berücksichtigung von Patienteninteressen gewährleistet.
Zu § 65 a Versichertenbonus in der hausärztlichen Versorgung:
Die mit der Einführung eines Versichertenbonus in der hausärztlichen Versorgung verbundenen Erwartungen im Hinblick auf mögliche Einsparungen, die an den Versicherten weitergegeben werden sollen, stehen in einem gewissen Gegensatz zur expliziten Ablehnung von Elementen der PKV wie Beitragsrückgewähr. Es wird nicht deutlich, wer in welchem Umfang von den erwarteten Einsparungen profitieren soll:
Falls eine anteilsmäßige Beteiligung aller Versicherten vorgesehen ist, erscheint die versichertenbezogene Speicherung von Daten überflüssig. Wird der Bonus hingegen in Bezug auf Einsparungen beim einzelnen Versicherten gewährt, so stellt dies eine Aushebelung des Solidarprinzips dar, die schwer Kranke benachteiligt. Wir fragen uns auch, auf der Grundlage welcher Daten (welches Vorher und Nachher) die Einsparungen errechnet werden sollen?
Wenn intendiert ist, den Versicherten durch den Bonus zu Zurückhaltung in der Inanspruchnahme von Leistungen zu bewegen, so hat dieser durchaus erwünschte Effekt unter Umständen erhebliche psychologische Nebenwirkungen. Gerade im Bereich der psychotherapeutischen Versorgung gibt es zudem langjährige Erfahrungen über die verzögerte Indizierung notwendiger Psychotherapien, wobei diese Verzögerung sowohl auf Unkenntnis der Wirksamkeit von Psychotherapie als auch auf einer gemeinsamen mehr oder weniger expliziten Übereinkunft zwischen Patient und Behandler bestehen kann, psychische Krankheitsursachen aus der differentialdiagnostischen Betrachtung auszublenden.
Zumindest besteht die Gefahr, daß psychotherapeutische Leistungen als "bonusgefährdend" angesehen werden und dadurch notwendige Behandlungen wegen nicht unbedingt ambivalenzfreier Behandlungsmotivationen aufgeschoben oder verhindert werden.
Auf das durch verzögerte Psychotherapie verursachte menschliche Leid und die enormen Kosten, die daraus für das Gesundheitswesen entstehen, möchten wir hinweisen. Die nachweisbar häufig fehlenden gemeinsamen Behandlungsstrategien zwischen somatischem und psychosomatischem Versorgungssystem, die zu der zitierten Chronifizierung psychosomatischer Krankheiten führen, laufen Gefahr, durch das geplanten Bonussystem verschlimmert zu werden.
Daraus würde eigentlich folgen, daß neben der Stärkung der hausärztlichen Versorgung eine Stärkung der psychotherapeutischen Versorgung stehen müßte, die ebenfalls mit einem Bonus honoriert wird, wenn Patienten sich rechtzeitig um Psychotherapie bemühen.
Da dies jedoch wenig realisierbar scheint, fordern wir zumindest, daß Patienten weiterhin ein Erstzugangsrecht zu Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie, Fachärzten für Psychotherapeutische Medizin und zu ärztlichen Psychotherapeuten haben, desgleichen zu Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, wie dies auch im Psychotherapeutengesetz vorgesehen ist.
Zudem dürften die so entstehenden Kosten nicht mit möglichen Einsparungen verrechnet werden. Um dem Vernetzungsgedanken Rechnung zu tragen, könnte das Erstzugangsrecht mit einer Verpflichtung zur Erörterung psychotherapeutisch indizierter Behandlungen mit dem Hausarzt verbunden werden. Die Erörterung darf allerdings den Schutz der Intimsphäre des Patienten nicht gefährden. Das Erstzugangsrecht berücksichtigt zudem mögliche Schamgefühle von Patienten, wenn sie sich um eine Psychotherapie bemühen.
Zu § 66 Unterstützung der Versicherten:
Die Verschärfung des § 66 erscheint uns nicht gerechtfertigt. Es gibt bereits ärztliche Gutachterstellen bei allen Landesärztekammern. Diese sind sachverständig besetzt und gewährleisten einen objektiven Stand in der Bewertung erfolgter oder vermeintlicher Behandlungsfehler. Ihre Besetzung könnte - wie dies von der SPD in Sachsen angeregt wurde - um Vertreter der Kassen, des Landes und der Selbsthilfegruppen ergänzt werden. Zudem sollten immer Vertreter des jeweiligen Gebiets beigezogen werden. Der Ausschluß des ärztlichen Sachverstandes erscheint nicht nachvollziehbar. Die alleinige Beratungskompetenz der Krankenkassen wird bestritten. Die Verschärfung des § 66 könnte auf Dauer zu ähnlichen Verhältnissen wie in den USA führen: Dort werden immer mehr haftungsrechtliche Gesichtspunkte bei der Verordnung handlungsleitend. Dies ist einer sparsamen Verordnung nicht förderlich.
Auch in § 65 b (Verbraucher- und Patientenberatung) ist die Einbeziehung ärztlichen und psychotherapeutischen Sachverstands vorzusehen.
Zu § 73 Abs. 1 b Kassenärztliche Versorgung:
Angaben zur Symptomatologie und Lebensgeschichte bedürfen bei psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlungen eines besonderen Schutzes. Für diese Daten, die bisher nur chiffriert an einen Gutachter weitergegeben wurden, muß trotz der neu in diesen Paragraphen eingefügten Einwilligung des Versicherten auch zukünftig ein Ausnahmetatbestand geschaffen werden, zumal diese Daten oft keine unmittelbare Relevanz für die weitere Behandlung durch den Hausarzt haben. Außerdem könnten sich Versicherte aus Angst vor den Folgen einer Weigerung gezwungen sehen, eine Zustimmung zu geben, zu der sie innerlich nicht bereit sind. Zur Illustration möchten wir erwähnen, daß Hausärzte oft dem unmittelbaren Bekanntenkreis von Patienten angehören. Eine Information über z. B. intime familiäre Details erscheint unter diesen Bedingungen unzumutbar.
Zu § 79 und § 80 Reform der Selbstverwaltung:
Im Hinblick auf die Reform der ärztlichen Selbstverwaltung sollten Rahmenvorgaben gemacht werden, die die Effizienz der Selbstverwaltung erhöhen. Eine solche Regelung stellt z.B. die Einführung des Verhältniswahlrechts dar. Die von außen verordnete Reform der Selbstverwaltung begünstigt autoritäre Strukturen ohne demokratische Kontrolle, da der Verwaltungsrat im Hinblick auf die inhaltliche Ausgestaltung von Entscheidungen keine Kompetenz mehr haben soll.
Zu § 81, Abs. 4 Verpflichtung zur Fortbildung:
Die Verpflichtung zur Fortbildung wird begrüßt. Die Wissenschaftlichen Fachgesellschaften sollten einbezogen werden.
Zu § 84 Arznei- und Heilmittelbudget:
Es gibt nachgewiesen große Schwankungen in der Prävalenz psychischer Erkrankungen in einzelnen Regionen und ebenfalls große Unterschiede in der subjektiven Bereitschaft, dafür medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wir verweisen auf unsere früheren Ausführungen zu neuen Entwicklungen in der Psychopharmakologie unter § 34a. Diese epidemiologischen Unterschiede können bei der vorgesehenen Standardisierung nicht berücksichtigt werden und bedeuten eine erhebliche Bedrohung für eine ausreichende Versorgung psychisch kranker Patienten. Falls ein Standardisierung vorgesehen wird, müssen Morbiditätsstatistiken einbezogen werden.
Zu § 87 a HVM:
Im HVM müssen die Besonderheiten psychotherapeutischer Leistungserbringung berücksichtigt werden. Diese bestehen insbesondere darin, daß die Leistungen ganz überwiegend zeitgebunden sind. Die übliche fallzahlabhängige Berechnung von Regelleistungsvolumina muß durch andere Steuerungsmaßnahmen, wie z.B. ein "zeitabhängiges Punktzahlvolumen" ersetzt werden, das ebenfalls mit einem festen Punktwert zu vergüten ist. Diese Ausnahme ist festzuschreiben. Zudem ist auch nach Einführung der Bedarfsplanung für Psychotherapeuten nach wie vor in unterversorgten (und auch in überversorgten durch die nachqualifizierten und ermächtigten PP) Gebieten mit einer Zunahme der Leistungserbringer zu rechnen. In den Rahmenvereinbarungen nach § 87 a, Abs. 2 muß festgeschrieben werden, daß der HVM bei überdurchschnittlicher Arzt-(Psychotherapeuten)- zahlzunahme entsprechend anzupassen ist.
Angesichts der Einführung des Globalbudgets sind Regelungen zur Begrenzung der Tätigkeit der Leistungserbringer unvermeidlich. Sie führen allerdings im psychotherapeutischen Versorgungsbereich zur Festschreibung auf einem Entwicklungsstand, der eine Minimalversorgung fortschreibt und neue Entwicklungen unberücksichtigt läßt.
Der Begriff "übermäßig", der sich auf die Versorgung in der Vergangenheit bezieht, beschreibt für unseren Bereich einen "unzulänglichen" Zustand. Bisherige Regelungen schreiben im fachärztlichen Bereich ein Praxisbudget fest, das in keinerlei Hinsicht Möglichkeiten für eine ausreichende Versorgung gewährleistet. Die qualifizierte psychotherapeutische Versorgung steht mit ihrem differenzierten Leistungsangebot erst am Anfang. Insofern behindert die starre Budgetierung die Weiterentwicklung der psychotherapeutischen Versorgung. Zum Beispiel müssen chronisch psychosomatisch Kranke, die eine langfristige Betreuung benötigen, im Quartal mit weniger als 3 Gesprächen zu 15 Minuten auskommen, wenn sie keine Richtlinienpsychotherapie erhalten. Wir befürchten, daß gerade die langfristige Betreuung psychisch und psychosomatisch Kranker angesichts anderer für akut notwendig gehaltener Behandlungsmaßnahmen immer mehr an den Rand gedrängt wird.
Zu § 101 Überversorgung:
Die angestrebte ausgewogene hausärztliche und fachärztliche Versorgung läßt die neue Behandlergruppe der Psychologischen Psychotherapeuten unberücksichtigt. Diese relativ große Gruppe von Leistungserbringern - erwartet werden etwa 10 – 15% aller (!) Leistungserbringer - kann weder dem hausärztlichen noch dem fachärztlichen Bereich zugeordnet werden, sondern muß einen eigenen Versorgungsbereich erhalten, da der vorgesehene Anteil von 40% für die gesamte fachärztliche Versorgung durch Einbeziehung der Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten für eine fachgerechte Versorgung unzulässig ausgedünnt würde.
Zu § 116 ambulante Behandlung durch Krankenhäuser:
Grundsätzlich ist die Durchlässigkeit ambulanter und stationärer Krankenbehandlung im psychotherapeutischen Versorgungsbereich zu begrüßen, weil sie gerade der schweren psychischen Erkrankungen eine kontinuierliche Betreuung gewährleitet. So sollte nicht nur eine ambulante Behandlung am Krankenhaus möglich sein, wie es der Tendenz des Gesetzes zur Verlagerung hoch spezialisierter Leistungen ans Krankenhaus entspricht, sondern der ambulante Behandler sollte auch die Möglichkeit erhalten, bei krisenhaften Zuspitzungen im Krankheitsverlauf seine Behandlung während eines stationären Krankenhausaufenthaltes fortzusetzen.
Zu § 136 Qualitätssicherung:
Qualitätssicherung ist eine unabdingbare Voraussetzung ärztlicher und psychotherapeutischer Versorgung. Dazu gehören auch Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung. Allerdings zeigen die Erfahrungen der Vergangenheit, daß
* Qualitätssicherung, die zur von außen verordneten Kontrolle wird, in der Regel zu Widerständen bei den Betroffenen führt, die den Zielen der Qualitätssicherung entgegenstehen,
* Qualitätssicherung nicht kostenneutral zu haben ist, sondern die Mehrkosten für den zeitlichen Aufwand angemessen berücksichtigt werden müssen,
* Qualitätssicherung nicht unbedingt zu Einsparungen führt.
Die bisherige Qualitätssicherung psychotherapeutischer Leistungen über Psychotherapierichtlinien und Psychotherapievereinbarung sollte fortbestehen, da hier der Sachverstand der betroffenen Berufsgruppen unmittelbar einbezogen werden kann und durch zusätzliche Maßnahmen, wie die Teilnahme an Intervisionsgruppen und Qualitätszirkeln, die bereits zum Standard gehören, ergänzt werden. Weitere Qualitätssicherungsmaßnahmen dürfen nicht zur Förderung von Bürokratie und Kontrolle führen, wie dies die Formulierungen des § 136 befürchten lassen, sondern müssen dem besonderen Gegenstand der Psychotherapie gemäß sein.
Zunehmend sollen sich Behandlungen am Stand der medizinischen Forschung, wie er in Leitlinien niedergelegt ist, orientieren. Wichtige Anteile ärztlicher und psychotherapeutischer Tätigkeit wie Betreuung, Beziehungsgestaltung, Aufbau von Compliance lassen sich jedoch nicht in Leitlinien erfassen. Sie richten sich nach den Erfordernissen der Patientenpersönlichkeit und dem jeweils individuellen Zusammenspiel mit dem Behandler. Die derzeitige Auswertung der Literatur, die in den fertiggestellten Leitlinien zur psychotherapeutischen Versorgung niedergelegt ist, ergibt kein einheitliches und genügend aussagekräftiges Bild im Hinblick auf die Indikation bestimmter Behandlungsmaßnahmen bei bestimmten Krankheiten.
Es gibt gegensätzliche Positionen, die Evidenz für sich beanspruchen können. Es fehlen vergleichende Untersuchungen zu unterschiedlichen Therapieverfahren und zur Kombination von Therapieverfahren. Zudem orientieren sich Leitlinien an Krankheitsbildern, wie sie in Klassifikationssystemen beschrieben sind. Diese Krankheitsbilder finden sich jedoch selten isoliert. Die meisten Patienten haben mehrere Diagnosen, die bei der Indikationsstellung berücksichtigt werden müssen. Der Patient in der Versorgung entspricht eben gerade nicht den ausgewählten Krankheitsgruppen, die bei randomisierten Studien untersucht werden.
Außerdem müssen Patientenvorlieben berücksichtigt werden. Nicht jeder hat einen Zugang zu den introspektiven Anforderungen psychoanalytischer Behandlungen, ebenso wenig wie sich jeder einem verhaltenstherapeutischen Zugang öffnet. Indikationsstellung in der Psychotherapie ist immer ein psychosozialer Aushandlungsprozeß. Alle Untersuchungen zeigen, wie wichtig die Berücksichtigung der Akzeptanz eines Therapieverfahrens durch den Patienten ist. Eine gegen den Patientenwillen und "von oben verordnete" Behandlung verschlechtert die Ergebnisse von Behandlungen. Das haben Untersuchungen mit randomisierten Studien, in denen die Patienten nach dem Zufall zugewiesen wurden, eindeutig ergeben.
Zusammengefaßt erscheint uns deswegen die Orientierung an Leitlinien in der Psychotherapie wichtig, da sie einen Überblick über den aktuellen, oft kontroversen Stand der Forschung in unserem Bereich geben und zum Nachdenken über Handlungsalternativen anregen. Sie sind jedoch nur einer der bei der Indikationsstellung und Behandlungsführung zu berücksichtigenden Parameter.
Zu § 140 Integrierte Versorgung:
Die generellen Einwände gegen die integrierte Versorgung wollen wir hier nicht wiederholen, obwohl wir sie teilen. Unsere Einwände richten sich gegen die spezifischen Schwierigkeiten, die die integrierte Versorgung für die Psychotherapie verursachen.
So befürchten wir durch die starke Vernetzung und den grundsätzlich geforderten Datenaustausch eine Bedrohung der Anonymität der Patienten, die aus Gründen einer Sicherheit gebenden therapeutischen Beziehung unerläßlich ist. Standardisierte und routinemäßig anzuwendende Behandlungsvorgaben erschweren eine Therapieplanung, die sich an den individuellen Behandlungszielen, wie sie in Psychotherapieen üblich sind, orientiert.
Die Regelungsdichte des Fraktionsentwurfs, die jeden einzelnen Leistungserbringer erfassen soll und solidarisch finanzierte gleichmäßige Leistungen für alle Versicherten bereitstellen soll, steht im Widerspruch zur Grundkonzeption der integrierten Versorgung. Diese macht nur Sinn, wenn der Anreiz zur Teilnahme in Wettbewerbsvorteilen entweder der Krankenkassen oder der Leistungserbringer liegt. Diese Wettbewerbsvorteile können entweder in einem verbesserten Leistungsangebot und/oder in finanziellen Vorteilen liegen. Praktisch bedeutet dies, daß Patienten, die an Modellen der integrierten Versorgung teilnehmen, andere (bessere?) Bedingungen vorfinden als die übrigen Versicherten, ohne dafür höhere Beiträge entrichten zu müssen. Auch wenn "am Prinzip der freien Arztwahl" festgehalten werden soll, richten sich die vorgeschlagenen gesetzliche Regelungen gegen dieses Prinzip, so z.B. auch die Bonusgewährung bei ausschließlicher Inanspruchnahme der integrierten Versorgung.
Im Grunde entsprechen die integrierten Versorgungsstrukturen Managed Care-Modellen, deren negative Auswirkungen in den USA erst in den letzten Jahren deutlich werden, nachdem sich die anfängliche Euphorie über die Effizienz dieser Modelle gelegt hat. Managed Care-Strukturen wurden in den USA als das Mittel einer verantwortungsbewußten und kostengünstigen Gesundheitsversorgung propagiert. Die erheblichen Nebenwirkungen dieses hoffnungsvollen Ansatzes werden insbesondere im Bereich der psychotherapeutischen Versorgung jetzt langsam deutlich: Das System entwickelte sich zu einer ausschließlich an Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten orientierten Zwangsjacke, gegen die sich allmählich sowohl Patienten als auch Leistungserbringer zur Wehr setzen.
Auch hier greifen im übrigen die Einwände gegen die Bonusregelung, die bereits bei der Bonusregelung in der hausärztlichen Versorgung aufgeführt wurden. Die Regelung für die Vergütung (§ 140c, Abs.1) kann sich sehr negativ auf die psychotherapeutische Versorgung auswirken. Netze werden von Versicherten in der Regel wohnortnah aufgesucht. Dies gilt aus Anonymitätsgründen nicht unbedingt für die Auswahl eines Psychotherapeuten, die somit zu einer "Leistungsverlagerung nach außen" wird.
Wir halten die Befürchtung nicht für unbegründet, daß Psychotherapie eine der Leistungen ist, die sozusagen ans Ende der Behandlungskette gestellt wird, wenn sogenannte "kostengünstigere Maßnahmen", wie z.B. die Verordnung von Medikamenten, versagt haben. Dafür, daß diese Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen ist, gibt es in der Vergangenheit ausreichende Belege.
Um dieser Gefahr vorzubeugen, fordern wir trotz unserer generellen Bedenken zumindest, daß §140 b, Abs. 4 wie folgt ergänzt wird:
Nach Satz 1 ist einzufügen:
..."dazu gehört auch eine ausreichende Versorgung mit notwendigen psychotherapeutischen Leistungen."
§ 140 g ist wie folgt zu ergänzen:
Nach Satz 1 ist einzufügen:
"Dies gilt nicht für innerhalb oder außerhalb der integrierten Versorgung in Anspruch genommene psychotherapeutische Leistungen."
Zu § 142 Globalbudget:
Die Verabschiedung des Psychotherapeutengesetzes und die dadurch erfolgte Zunahme an Behandlern gewährleistet erstmals eine einigermaßen ausreichende, flächendeckende Versorgung mit Psychotherapie nach einheitlichen Qualitätsstandards. Bereits jetzt ist jedoch absehbar, daß die Verbesserung der Versorgung gleichzeitig dazu führt, daß unter Budgetbedingungen die wirtschaftliche Existenz der Versorger nicht gesichert ist. Uns ist bewußt, daß dies eine Klage ist, die zur Zeit von allen Seiten vorgebracht wird. Die aktuellen Berechnungen zur Auswirkung des sektoralen Budgets für Psychotherapie lassen jedoch keinen Zweifel daran, daß die Kosten für die vom Gesetz beabsichtigte Verbesserung der Versorgung zu niedrig angesetzt sind. Hier wurde ein Versorgungsbereich eröffnet und seine Finanzierung durch die GKV festgeschrieben, ohne daß bisher ausreichend diskutiert wurde, wie die dazu notwendigen Mittel zusätzlich erschlossen werden können. Das Globalbudget wird diese Situation weiter verschlimmern. Im Hinblick auf mögliche Rationalisierungsreserven sind wir ausgesprochen skeptisch, ob diese, wenn es sie denn gibt, gerade zu einer Förderung des Psychotherapiebereichs verwandt werden. Es sind im Gesetz geeignete Maßnahmen vorzusehen, um dem psychotherapeutischen Bereich ausreichende Mittel zur Verfügung zu stellen. Angesichts der relativ einfachen Kalkulation der entstehenden Kosten, die sich aus der Anzahl der zugelassenen Behandler berechnen lassen, dürfte es nicht schwer fallen, ein Budget entsprechend auszustatten. Werden durch die Forschung neue Indikationen für Psychotherapie erschlossen, so sind geeignete Maßnahmen zur Finanzierung dieser Innovationen zu treffen.
An dieser Stelle möchten wir unserer Skepsis in Bezug auf die Vorstellung, medizinischer Fortschritt bleibe durch die Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven im System ohne Mehraufwand finanzierbar, Ausdruck verleihen. Zumindest für den psychosozialen Versorgungsbereich sind die Behandlungsmöglichkeiten keineswegs ausgeschöpft. Viele organische Krankheiten können durch eine therapeutische Begleitbehandlung für die Betroffenen erträglicher gestaltet und in ihrer klinischen Erscheinung gebessert werden. Nachgewiesen ist dies u.a. bei der Behandlung von Schmerz, Krebs-, Rheuma- und Asthmapatienten.
Wir verweisen auf unsere Ausführungen zu § 87 a. Ein Globalbudget mag zur Leistungsbegrenzung notwendig sein. Damit ist aber auch eine zumindest teilweise Entscheidung gegen Innovationen getroffen.
Zu § 275 Begutachtung und Beratung. Medizinischer Dienst:
Diese Regelung ist der Ansicht verpflichtet, die Krankenkassen seien im wesentlichen Anwälte der Patienten. Die im Alltag häufig genug anzutreffende Tatsache, daß auch Krankenkassen in einem Spannungsfeld zwischen Kundenorientierung und Kostendruck stehen, wird nicht gesehen. Es ist eine Erfahrungstatsache, daß auch Leistungsanbieter auf der Seite ihrer Patienten gegen den Medizinischen Dienst argumentieren und dabei keine Eigeninteressen sondern die Interessen der Patienten wahrnehmen. Gerade im Bereich der Psychotherapie hat es in der Vergangenheit ein Nebeneinander von großzügigen Leistungsbewilligungen im Rahmen der Kostenerstattung neben seltener, restriktiver Handhabung innerhalb der GKV gegeben.
Dies könnte sich allerdings ändern, wenn die Krankenkassen in einen Konflikt zwischen Mitgliederwerbung und Budgetverantwortung kommen, ganz abgesehen von den subtilen Möglichkeiten, auf diese Weise Risikoselektion zu realisieren.
Psychotherapie ist ein hoch spezialisierter Bereich. Notwendigkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit werden im Rahmen des Gutachterverfahrens überprüft. Die Regelungskompetenz liegt beim Bundesausschuß. Die Überprüfung durch den MDK ist abzulehnen.
Die Regelungen der Aufgaben des MDK setzen hoch spezialisierte medizinische Kenntnisse voraus. Sie zeigen zudem ein Regelungsbedürfnis mit Zusammenführung sensibler Daten, die ungemein kostentreibend ist und deren Effizienz wir im Hinblick auf das Gesamtergebnis bezweifeln. Wir möchten auch auf die besondere Schutzbedürftigkeit der Daten in der Psychotherapie hinweisen.
Zu § 284 Sozialdaten bei den Krankenkassen:
Die Zusammenführung personenbezogener Daten nach Abs. 2 mag zwar zur Erreichung der angestrebten Ziele unerläßlich sein, dennoch stellt sie einen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Patienten (Stichwort "Gläserner Patient") dar. Insofern ist angesichts der besonderen Schutzbedürftigkeit der Daten in der Psychotherapie wie für Abs. 3 die schriftliche Zustimmung der Patienten zu fordern. Aufgeklärte mündige Patienten werden sich diesem Anliegen nicht verweigern, wenn sie die Möglichkeit erhalten, bestimmte Daten von der Weitergabe auszuschließen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die im Referentenentwurf angesteuerten Ziele
* der Verzahnung
* der Rolle des Hausarztes
* der Qualitätssicherung
* und einer rationellen Arzneimittelversorgung
durchaus wünschenswert sind. Wir haben versucht, aufzuzeigen, welche Probleme durch die vorgesehenen Mittel für unseren speziellen Bereich, nämlich die psychotherapeutische Versorgung entstehen.
Die Erwartung, daß medizinischer Fortschritt ohne Ausgabensteigerung möglich ist, teilen wir nicht. Die enge Verknüpfung von Qualität und Wirtschaftlichkeit greift nur in einem umgrenzten Bereich, ansonsten sind diese beiden Ziele antagonistisch und konfliktträchtig. Dies wird nicht ausreichend berücksichtigt.
Die vorgesehenen Kontrollmaßnahmen sind kostentreibend, entbehren der dafür notwendigen Kompetenz der Kontrollorgane und höhlen den Datenschutz aus. Sie wirken im Sinne einer lähmenden, überbordenden Bürokratie.
Die notwendige Reform der Selbstverwaltung muß von dieser selbst organisiert werden. Die staatlich verordnete Reglementierung unserer demokratischen Strukturen lehnen wir ab.