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Besetzung des Wissenschaftlichen Beirats (WBP)

Was nötigte die Bundespsychotherapeutenkammer
zu schnellem Handeln ?

Vielerorts waren die bisherige Tätigkeit und die Entscheidungshintergründe des bisherigen Wissenschaftlichen Beirats sehr kritisch begleitet worden. Insbesonders wurde dies während einer Podiumsdiskussion der Berliner Psychotherapeutenkammer am 22.06.2003 deutlich.

Teilgenommen hatten: Prof. Dr. Michael B. Buchholz (Göttingen), Dipl.-Psych. Bernd Fliegener (Berlin), Prof. Dr. Robert Francke (Bremen, Jurist), Prof. Dr. med. Michael Linden (Berlin, stellv. Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates Psychotherapie, WBP), Prof. Dr. Dirk Revenstorf (Tübingen) und als Moderatorin Frau Gundel Köbke (Journalistin).

Thema war: Praxis und Wissenschaft - Zur wissenschaftlichen Anerkennung von Psychotherapieverfahren -

Aus dem Bericht auf den Internetseiten der Berliner Kammer:

"Prof. Dr. Linden begründete die Position des WBP zur Anerkennung von Psychotherapieverfahren Er leitete den Auftrag des WBP aus § 11 PsychThG ab. Er erläuterte weiter die Legaldefinition (§ 1, (3) PsychThG) von Psychotherapie. Zusammenfassend vertrat er die Position, dass nur die Verfahren als wissenschaftlich anerkannt werden könnten, deren Vertreter die geforderten Out-Come-Studien vorgelegt hätten. Er verteidigte damit die bisherigen Empfehlungen des WBP an die Landesbehörden, die systemische Therapie/Familientherapie, das Psychodrama und die Neuropsychologie für die vertiefte Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten abzulehnen. Trotz dieser, von anderen Diskutanten, stark kritisierten Positionen meinte er abschließend, dass er alle auf dem Podium vertretenen Positionen auch unterstützen könnte. ............."

Prof. Dr. Buchholz kritisierte vor allem, dass die empirische Forschung ein hierarchisches Verhältnis zur professionellen psychotherapeutischen Praxis im Sinne von Überlegenheit beanspruche, das aber nicht gerechtfertigt sei. Professionelle Psychotherapie erfordere vielerlei Kompetenzen, die aber in der empirischen Forschung nur unzureichend abgebildet würden. Er wandte sich weiter gegen eine Reduzierung von Psychotherapie auf "Problemlösen", sondern sprach von "Umwandlung", d.h. die diffus beschreibbare Lage des Patienten müsse häufig erst vom Psychotherapeuten in ein formulierbares "Problem" verwandelt werden. Die therapeutische Beziehung würde mit den bisherigen Instrumenten der empirischen Forschung nicht adäquat erfasst. Empirische Studien wie von Evans et al.(s. Expertise, Kröner-Herwig, S. 50) zur Verhaltenstherapie (VT) bei "schweren Persönlichkeitsstörungen", wonach die VT bei der Behandlung mit 2,7 Stunden auskomme, seien für ihn unglaubwürdig. Zusammenfassend plädierte er für eine Evaluation professionellen Könnens, dabei sollten schulübergreifende Institutionen sowie der Konsens der Professionellen verschiedener Schulen insbesondere auf regionaler Ebene genutzt und die Spielräume therapeutischen Handeln ausgebaut und gesichert werden.

Prof. Dr. Revenstorf problematisierte die gegenwärtig dominierenden Kriterien der empirische Forschung, insbesondere das der Laborwirksamkeit als dem entscheidenden. Er sprach davon, dass sich die Therapieforschung im positivistischen Loch befinde. Die Humanistische Psychotherapie habe Konzepte entwickelt, die sich mit der positivistischen Methodologie nur begrenzt erfassen ließen. Die Angemessenheit der gegenwärtigen Forschungsstrategie für den Fortschritt sei fragwürdig. Modelle für Ätiologie und Veränderung seien einseitig kausal (Trauma, Umweltbedingungen) ausgerichtet. An den gängigen Evalutations–Designs kritisierte Revenstorf, dass die vom WBP präferierten RCT (randomized controlled trials)- Merkmale nur eingeschränkt auf die Psychotherapie übertragbar seien, da a) die Stichprobe durch Selbstselektion der Patienten nicht repräsentativ sei; b) die Randomisierung eine Zuweisung ohne Mitbestimmung des Patienten erfordere und c) die Kontrollgruppen(Wartegruppe) ethisch nicht vertretbar seien, wenn die Vergleichstherapie inkompetent ausgeführt würde. Als alternative Kriterien der Anerkennung formulierte er den relevanten Einbezug von Fallanalysen, die Herbeiführung eines Konsens unter den Experten und die stärkere Gewichtung des Kriteriums der klinischen Brauchbarkeit und Bewährtheit (Effectivness). Problematisch sah er auch die verbreitete Tendenz, das Richtlinienverfahren Elemente von anderen Verfahren absorbieren und damit deren Existenz unterminierten.

Dipl.-Psych. Fliegener widerlegte unter Bezug auf B.E. Wamphold (The great psychotherapy debate. London 2001) den in der Psychotherapieforschung verbreiteten Mythos, dass die Verhaltenstherapie den anderen Verfahren überlegen sei. In keiner großen Psychotherapievergleichsstudie, an der Vertreter aller untersuchten Psychotherapierichtungen maßgeblich als Forscher beteiligt waren, ließe sich eine fundamentale Überlegenheit irgendeiner Psychotherapierichtung gegenüber den anderen Richtungen nachweisen. Daraus folgerte er, dass es der gegenwärtige Ergebnisstand der Psychotherapieforschung nicht zulasse, auf seriöse Weise die Effizienz verschiedener Psychotherapieverfahren zu differenzieren. Als Versäumnis der universitären Forschung kritisierte er den Umstand, dass Nicht-Richtlinienverfahren bisher nur relativ begrenzt empirisch beforscht wurden.
Als Konsequenz aus seinen Ausführungen forderte er eine deutliche Veränderungen der Anerkennungskriterien des WBP im Sinne der Präferenz von Effectivness– in Relation zu Efficacy – Studien, Pilotprojekte für noch nicht anerkannte Verfahren und eine Zusammensetzung des Beirates, die die Vielfalt der unterschiedlichen Verfahren in der Profession wiederspiegele.

In der Diskussion mit Publikumsbeteiligung vertrat Dr. Thielen (Vorstand der Berliner Psychotherapeutenkammer) die Auffassung, dass die Podiumsdiskussion gezeigt habe, dass die Kriterien des WBP dringend reformiert werden müssten, da sie einseitig das Kriterium der Laborwirksamkeit betonten und damit den Nicht-Richtlinienverfahren keine faire Chance auf Anerkennung ermöglichten. Weiter sprach er sich bei der zu erfolgenden Neubesetzung des WBP im Herbst für die Wahl der Beiratsmitglieder durch die Bundespsychotherapeutenkammer und die Veränderung der Parität zwischen Psychologischen und Ärztlichen Psychotherapeuten zugunsten der ersteren aus. Zur Begründung erläuterte er, dass Empfehlungen des Beirates für die ärztlichen Kollegen keinen rechtlichen Konsequenzen hätten, da diese nicht dem PsychThG unterlägen.

Quelle: Dr. Manfred Thielen, Mitglied des Vorstandes der Berliner Psychotherapeutenkammer und für das Ressort "Wissenschaft, Forschung, Qualitätssicherung" zuständig. (Kammer-Rundbrief I/2004)"

Auf die ausführlichen Texte wird unten verwiesen.

Merkwürdigerweise findet diese wichtige Diskussion einer regionalen Psychotherapeutenkammer auf den Internetseiten der Bundespsychotherapeutenkammer (bundespsychotherapeutenkammer) vom 22.06.2003 bei dem Beschluß zum Wissenschaftlichen Beirat keine Erwähnung, statt dessen der recht knappe Hinweis:

"Der Präsident berichtete schließlich über die Rahmenvereinbarung mit der Bundesärztekammer, über den Übergang des Wissenschaftlichen Beirats nach § 11 PsychThG in den Geschäftsbereich der Bundespsychotherapeutenkammer, über die Kandidatensuche für die Bank der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten im WBP und über die Nominierung der Mitglieder. Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie selbst, die Vereinbarung mit der Bundesärztekammer, die Geschäftsordnung des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie und die Prozedur der Neuberufung wie das Personalpanel wurden von einigen Delegierten kritisiert. Die Vorschläge der Kritiker für Neuverhandlungen über Rahmenvereinbarung zwischen Bundespsychotherapeutenkammer und Bundesärztekammer und über die Geschäftsordnung wurden jedoch mit großen Mehrheiten abgelehnt. Vorschläge in Richtung einer Beteiligung der Delegiertenversammlung, z.B. die Wahl von Kandidaten durch ein Wahlmännergremium der Delegiertenversammlung, fanden ebenfalls keine Mehrheit. Insgesamt fand das Verhandlungsergebnis des Vorstands und seine Maßnahmen für die Besetzung des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie Rückhalt bei einer breiten Mehrheit der Delegierten."

Ein Antrag von Delegierten der Arbeitsgemeinschaft Psychotherapie (AGP), dem wissenschaftlichen Beirat durch eine ausführliche Geschäftsordnung enge Vorgaben zu machen, wie z.B. „Wissenschaftlichkeit“ definiert werden solle und in welchen Fällen er in welcher Weise tätig werden soll, wurde merheitslich abgelehnt. Detlev Kommer erklärte für den Bundesvorstand, dass er demgegenüber die bisherige Arbeit des Beirats wertschätze und erwarte, dass dieser seine Arbeit wie bisher fortsetze. In der Vereinbarung mit der Bundesärztekammer sei zudem festgelegt, dass der Beirat zukünftig neben seinen Aufgaben nach § 11 PsychThG auch als „normaler“ wissenschaftlicher Beirat der BPtK auf Anfrage tätig werden solle. Der Antrag der AGP wurde sodann mehrheitlich abgelehnt." (Quelle DGVT)

Damit wird in diesem wichtigen Bereich, in dem es um die wissenschaftliche Entwicklung der Psychotherapie geht, deutlich, was der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, D. Kommer, wohl in seiner Antrittsrede meinte, wenn er proklamierte: "In Zukunft werden die Psychotherapeuten mit einer Stimme sprechen."

Diese hektische Schnelligkeit, Institutionen mit raschen Mehrheitsbeschlüssen festklopfen zu wollen, steht im Gegensatz zu der notwendigen Achtsamkeit gegenüber dem Grundrecht: "Freiheit der Wissenschaft".


Fortsetzung und weitere angekündigte Quellen folgen in den nächsten Tagen:

Umstrittene VT-Expertise und Problematik des Wissenschaftlichen Beirats. (in Kürze)

Wie Institutionen denken (Wie aus einer Funktion eine Institution und schließlich eine urteilende Instanz wird) - (In Kürze)


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