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Aus der frühen und gegenwärtigen Geschichte der Psychoanalyse
und die Geschichte des Psychotherapeutengesetzes

Ein Ende mit der Laienanalyse
von Gerd Böttcher

Vortrag am Donnerstag, den 5.10.89
in Darmstadt (Hotel Maritim)
beim berufspolitischen Tag der DGPPT

 

Ich grüße Sie und danke Ihnen, daß Sie mir zuhören wollen.

Dies hier und heute soll ein berufspolitischer Tag sein und werden. Wir sollten darauf achten, ihn nicht auf einen berufs- und kassenrechtlichen Tag zu reduzieren. In vielen politischen Bereichen beobachten wir, wie die Politiker mehr und mehr die politisch notwendigen Entscheidungen an Juristen und Gerichte delegieren, statt politisch zu entscheiden. Neuer Wein wird in alte Schläuche gefüllt. Neue Realitäten sollen durch alte Gesetze geregelt werden, z.B. die sog. "Laienanalyse" durch das kuriose Heilpraktikergesetz. Hoffen wir, daß die alten Schläuche platzen, damit dem neuen Wein ein ihm gemäßeres Gefäß geschaffen werden kann, falls denjenigen, die sich einfüllen lassen, nicht die Lust am Gärungsprozeß vergeht.

Ich verlasse schnell mit einem Bein die metaphorische Ebene. Der mir zugewiesene Vortragstitel heißt ja: "Zu den historischen Hintergründen der rechtlichen Vorgaben für nichtärztliche Psychoanalytiker" (Arztvorbehalt in der RVO, Heilhilfsberuf). Mein mich motivierender Arbeitstitel aber hieß und heißt: "Ein Ende mit der Laienanalyse !? ", wobei ich es Ihrer jeweiligen Leidenschaft überlasse, ob sie dieses Diktum mit einem Frage- oder Ausrufezeichen schließen wollen. Mit meinem anderen Bein bleibe ich also auf der metaphorischen Ebene. Dabei werde ich nicht hinken. Ich bin ein alter Grenzgänger, an der deutsch-französisch-schweizerischen Grenze groß geworden, und beherrsche die legalen wie die legitim-illegalen Grenzübertritte.

Sigmund Freud schreibt 1926 in seinen Unterredungen mit einem Unparteiischen, die er die Frage der Laienanalyse nennt:

"...man ist noch kein Anarchist, wenn man bereit ist einzusehen, daß Gesetze und Verordnungen nach ihrer Herkunft nicht auf den Charakter der Heiligkeit und Unverletzlichkeit Anspruch haben können, daß sie oft inhaltlich unzulänglich und für unser Rechtsgefühl verletzend sind oder nach einiger Zeit so werden, und daß es bei der Schwerfälligkeit der die Gesellschaft leitenden Personen oft kein anderes Mittel zur Korrektur solch unzweckmäßiger Gesetze gibt, als sie herzhaft zu übertreten." (GW XIV, S. 269)

Herzhaft, das klingt schöner und farbiger als das gängig gewordene Wort von der Grauzone, in der sich delegierende und delegierte Psychoanalytiker im Gestrüpp der berufs- und kassenrechtlichen Verordnungen bewegen und an der man, wie wir berufspolitischen Funktionäre hinter vorgehaltener Hand manchmal sagen, ja nicht rühren soll.

Ich habe mir in das Seil, an dem ich mich hier in knapper Vortragszeit vorwärts orientiere, 19 Knoten mit ein paar Merksprüchen gemacht. An einigen werde ich etwas verweilen, andere werde ich nur kurz erwähnen, da ich davon ausgehe, daß auch Sie bei ihrer Erwähnung sich das Gemeinte allein in ihr Gedächtnis zurückrufen können.

Mit den ersten 5 Knoten streife ich kurz die Diskussion der Laienanalyse zur Zeit Freuds. Dann werde ich etwas über die Entwicklung der Laienanalyse in den USA sagen. Die Punkte 7 bis 11 sollen an die berufsrechtliche Entwicklung erinnern: Von der Kurierfreiheit in den "Zwanziger Jahren" zum Heilpraktikergesetz. Die Psychoanalyse in der kassenrechtlichen Entwicklung wird in den Punkten 12 bis 17 behandelt. Schließlich werde ich Sie mit der Frage provozieren: "Kommt nach der Medizinalisierung der Psychoanalyse deren Psychologisierung ?" Und am Ende, das ist der Knoten Nr. 19, da bin ich wieder in der Berggasse 19, da lade ich Sie zu einer Meditation ein über die Keuschheit der DGPPT in ihrer Berufspolitik.

Die Genese schafft allein noch kein Recht.

Daß bis zum Jahre 1925, in dem Theodor Reik in Wien des Kurpfuschervorwurfs bezichtigt und angeklagt wurde, Frauen und Männer wie Hermine Hug-Helmut, Oskar Pfister, Melanie Klein, Otto Rank, Hanns Sachs, Geza Roheim, Anna Freud und andere als sogenannte "Nichtärzte" die Psychoanalyse wohlgeduldet und wohlgelitten inmitten des wachsenden Kreises von ärztlichen Psychoanalytikern ausübten, hat mit Sicherheit allein keine Beweiskraft für einen Rechtsanspruch auf die Ausübung von Heilkunde durch nicht ärztlich Approbierte. Auch der Hinweis darauf, daß einige unter den Genannten zu unverzichtbaren Lehrern, Ausbildern oder gar Schulengründer auch für Ärzte wurden, nützt so wenig wie der Hinweis, daß ein Chirurg von einem großen Koch etwas lernen kann, der einen zarten Fisch grätenfrei zu filetieren versteht und als japanischer Kugelfisch-Fileteur möglicherweise die doppelte Ausbildungszeit als die des Arztes nachweisen kann.

Oskar Pfister veröffentlichte 1913 ein Buch mit denn Titel: Die psychoanalytische Methode. Freud schrieb dazu in einem Geleitwort: " Es fragt sich nur, ob nicht die Ausübung der Psychoanalyse eine ärztliche Schulung voraussetzt, welche dein Erzieher, und Seelsorger vorenthalten bleiben muß, oder ob nicht andere Verhältnisse sich der Absicht widersetzen, die psychoanalytische Technik in andere als ärztliche Hände zu legen. Ich bekenne, daß ich keine solchen Abhaltungen sehe. Die Ausübung der Psychoanalyse fordert viel weniger ärztliche Schulung als psychologische Vorbildung und freien menschlichen Blick; die Mehrzahl der Ärzte aber ist für die Übung der Psychoanalyse nicht ausgerüstet und hat in der Würdigung dieses Heilverfahrens völlig versagt. Der Erzieher und der Seelsorger sind durch die Anforderungen ihres Berufes zu denselben Rücksichten, Schonungen und Enthaltungen verpflichtet, die der Arzt einzuhalten gewohnt ist, und ihre sonstige Beschäftigung mit der Jugend macht sie zur Einfüllung in deren Seelenleben vielleicht geeigneter. Die Garantie für eine schadlose Anwendung des analytischen Verfahrens kann aber in beiden Fällen nur von der Persönlichkeit des Analysierenden beigebracht werden" (GW X,449f).

Im damals liberalen Deutschland war seit 1864 bzw. 1869 die Gewerbefreiheit auch auf die Heilkunde ausgedehnt worden; in Österreich galt das Kurpfuschergesetz. Wegen der Klage eines unzufriedenen Patienten sollte 1925 dem Psychologen und Psychoanalytiker Theodor Reik in Wien der Prozeß gemacht werden.

Helene Deutsch (Selbstkonfrontation, Kindler 1975, S.85 und 131f) erzählt in ihrer Autobiographie von dem Wiener Anatomieprofessor TANDLER, der sich für hübsche Studentinnen mehr interessiert haben soll, als es seine Lehrtätigkeit erforderte. Als sie einmal zu spät zur Vorlesung kam und die Studenten sich nach ihr umdrehten, habe er sarkastisch bemerkt: "Ich warte, bis sich die Herzen der Studenten beruhigt haben.". Dieser Tandler soll es gewesen sein, der auf Bitten Freuds bei den Behörden intervenierte und Reik aus der unerfreulichen Situation heraushalf. Allerdings bemerkt auch JOKL in einer Stellungnahme (Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, 1926), er habe im Auftrag der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. ein Gutachten erstellt.

Die 1926 veröffentlichte Arbeit Freuds: DIE FRAGE DER LAIENANALYSE, die er in der mehrfach gewählten Form einer Unterredung mit einem Unparteiischen gestaltet, zielt aber dann doch mehr auf die Vorbehalte gegenüber der Laienanalyse unter den ärztlichen Psychoanalytikern, wie dies durch die umfangreiche nachfolgende Diskussion in der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse und dem abschließenden Nachwort Freuds zur Laienanalyse belegt werden kann. Auch Helene Deutsch verrät keine große Sympathie für REIK, wenn sie zu dessen Buch "Hören mit dem dritten Ohr" meinte, "er müsse auf den beiden andern taub gewesen sein." (a.a.0., S. 132)

Die Diskussion zur Frage der Laienanalyse fand in der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse statt, die sinniger Weise kurz zuvor das Adjektiv "ärztlich" aus dem alten Titel: "Internationale Zeitschrift für ärztliche Psychoanalyse" gestrichen hatte. Es beteiligten sich so namhafte Autoren wie Sachs, Jones, Simmel, Horney, Schilder, Alexander, Reik, Müller-Braunschweig, Roheim, Glover, Wälder, Nunberg, Reich, Rickmann, Brill, Eitingon und andere.

Freud faßt diese Diskussion in seinem Nachwort zur "Frage der Laienanalyse" zusammen und zieht Bilanz: Wichtig erscheint mir daraus der Satz Freuds: "Die Einstellung des Verfahrens gegen Dr.Reik hat wahrscheinlich nicht die Bedeutung einer prinzipiellen Entscheidung des Wiener Gerichts in der Frage der Laienanalyse." Soweit mir bekannt ist, sind bis heute keine berufsrechtlich relevanten richterlichen Urteile gesprochen worden, denen ein Verfahren gegen einen nicht ärztlich approbierten Psychoanalytiker zu Grunde lag. Freud stellt damals fest, daß seine Schrift auch unter den Psychoanalytikern keine einheitliche Stellungnahme herbeiführen konnte.

Neben der uneingeschränkten Bejahung der Laienanalyse durch die Ungarische Gesellschaft findet sich die fast ebenso uneingeschränkte Verneinung durch die New Yorker Gruppe. In vielen Beiträgen wird die bekannte Formel von den interkurrenten organischen Erkrankungen beschworen, die der nichtärztliche Analytiker übersehen könne.

Wir wissen heute durch den Austausch der Supervisoren, daß hier keine relevanten Unterschiede zwischen ärztlichen und nichtärztlichen Praktikanten in der Weiterbildung zu beobachten sind und bis heute keine Straftaten nachweisenden Kunstfehlerprozesse gegenüber unserer Profession öffentlich bekannt sind. Wenn doch, dann in einer statistisch zu vernachlässigenden Größe. Schon NUNBERG hat in der damaligen Diskussion ehrlich darauf hingewiesen, daß auch der ärztliche Analytiker mit den organischen Leiden seines Patienten nicht viel anzufangen weiß. "Verirrt sich ein organisch Kranker zufällig in meine Sprechstunde, so gerate ich in die größte Verlegenheit und trachte ihn so rasch als möglich abzuschieben . ....Wenn aber eingewendet wird, daß zur psychoanalytischen Tätigkeit Übung im Umgang mit kranken Menschen und das ärztliche Pflichtgefühl notwenig sind, so könnte man vielleicht mit mehr Recht behaupten, daß eine geistliche Krankenschwester in diesen Dingen mehr bewandert ist." Und dann kommt er zu der heute in unseren psychoanalytischen Fachgesellschaften doch wohl mehrheitlich getragenen Forderung: "Es ist selbstverständlich, daß es nicht auf die medizinische Vorbildung ankommt, wenn jemand Psychoanalyse ausüben will, denn jedermann, Arzt oder Nichtarzt, ist in der Analyse Laie, solange er in ihr nicht gründlich ausgebildet ist." (S.307)

Ebenso eindeutig formuliert ALEXANDER: "Die Nichtzulassung vom psychoanalytisch ausgebildeten Laien erscheint... unbegründet. Mit demselben Recht müßte dem psychoanalytisch ungebildeten Arzt die Behandlung organischer Erkrankungen untersagt werden, weil er in Fällen, in denen der psychische Zustand des Kranken für sein Kranksein von ausschlaggebender Bedeutung ist, - und solche Fälle sind nicht selten -, den Kranken auf die Notwendigkeit einer Psychotherapie nicht aufmerksam machen wird und so die Interessen des Patienten nicht in dem Maße wahrt, wie es heute schon möglich ist." (S.218)

Freuds sehr parteiische Position in seiner Streitschrift "Die Frage der Laienanalyse" steht im Kontext seines Eintritts ins biblische Alter, wie Max Schur schreibt. Der Abfall Ranks, der Tod Abrahams überschattete seinen 70. Geburtstag. Max Schur erinnert sich, daß Freud bei der Feier allen seinen Schülern einschärfte, von jetzt an müßten sie auf eigenen Füßen stehen. (Max SCHUR, Sigmund Freud Leben und Sterben, Suhrkamp 1973, S.466) Nach der Laienanalyse folgen DIE ZUKUNFT EINER ILLUSION und DAS UNBEHAGEN IN DER KUL'T'UR. Und an Oskar PFISTER schreibt er am 25.11.1928: "Ich weiß nicht, ob Sie das geheime Band zwischen der „Laienanalyse“ und der „Illusion“ erraten haben. In der ersten will ich die Analyse vor den Ärzten, in der anderen vor den Priestern schützen. Ich möchte sie einem Stand übergeben, der noch nicht existiert, einen Stand von weltlichen Seelsorgern, die Ärzte nicht zu sein brauchen und Priester nicht sein dürfen." (FREUD UND PFISTER, BRIEFE 1909‑1939, S.Fischer 1963, S.376f) - Der von Freud erwünschte Stand des weltlichen Seelsorgers wird uns später noch in einem seltsamen Dokument aus dem Jahre 1947 begegnen.

Ich bin an meinem Leitseil mit den 19 Knoten jetzt beim 6.Knoten angekommen. Es geht jetzt schneller. Die Entwicklung in den USA will ich nur überfliegen. Wir wissen aus der gründlichen Darstellung von Ulrike MAY im Sammelwerk PSYCHOLOGIE DES 20.JAHRHUNDERTS, Band II, S.1219-1264, aus Publikationen unseres Kollegen Tobias BROCHER und anderer, aus der empirischen Studie Armin POLLMANNs über die Zulassung zur psychoanalytischen Ausbildung und z.T. aus eigener Kenntnis über den langen Weg des Widerstandes gegen die sog. Laienanalyse unter den amerikanischen ärztlichen Analytikern. Der Horror vor der Flut "wilder Analytiker", die mit Halbwissen aufgebläht die Psychoanalyse in den "roaring twenties" zur Mode erhoben und Begriffe wie Ödipuskomplex, wie Ulrike May schreibt, als "household words" inflationierten, machen die Abgrenzungsversuche der Mediziner gegen die befürchtete Laifizierung der Psychoanalyse einfühlbar. Die Rigidität dieser Einstellung gegen die Laienanalyse zeigt sich besonders imponierend in der Anfrage Anna Freuds, ob ein ordentliches "Laien"-Mitglied der Wiener Gruppe, z.B. sie selbst, Mitglied der New York Psychoanalytic Society werden könne. Antwort Oberndorfs: Nein! (U.Mai nach Bericht über den 10.Internationalen Psychoanalytischen Kongreß, 1927,S.492).

Und in dem Büchlein von Theodor REIK, Dreißig Jahre mit Freud, Kindler, 1976, Originalausgabe 1956 mit dem Titel "The search within" las ich den Brief Freuds an Theodor Reik vom 3.14.1938, als dieser nach den USA emigriert war, auf diese Widerstände und Ablehnung als Nichtarzt stieß und deshalb von Freud ein Empfehlungsschreiben und Hilfe erbat: "Lieber Herr Doktor, ich bin bereit Ihnen zu helfen, sobald ich die Nachricht bekommen habe, daß ich wenn auch nur für kurze Zeit, mit der Machtvollkommenheit des lieben Gottes betraut worden bin. Bis dahin müssen Sie allein weiter rackern. Mit herzl. Gruß Ihr Freud." (Aus Theodor REIK, 30 Jahre mit Sigmund FREUD, Kindler GEIST und PSYCHE, 1976, S.12ff)

Tennpora mutandur et in illis nos mutamur. Mitte bis Ende der 50 Jahre beginnt der Sinneswandel. "Der Psychologe Roy Schafer, der die psychoanalytische Interpretation der Rohrschachteste veröffentlicht hatte, erhielt als erster Nichtarzt von der APA (American Psychoanalytic Association) die Erlaubnis, am psychoanalytischen Training teilzunehmen" (May, S.1254). Ende der 60 Jahre lockerte sich der Widerstand noch mehr und ab 1971 konnten auch Nichtärzte ausgebildet werden, die sich als Lehrer und Erzieher bewährt hatten. In einer Abstimmung der APA 1971 votierten 603 Analytiker für die Ausbildung von Nichtärzten, nur noch 94 waren dagegen. Das von W.A. Wulf so genannte Prinzip der geringsten Verwunderung: "Wenn etwas an einer Stelle auf eine Art und Weise realisiert wurde, dann muß es immer und überall so realisiert werden!" war überwunden. Dieser Überwindung ging aber, worauf POLLMANN hinweist, der Abbau der juristischen Hürden voraus: "1971 hatten schon 43 Bundesstaaten Psychologen die Lizenz zum Betreiben einer privaten psychotherapeutischen Praxis erteilt".

Ich komme jetzt zu den Punkten 7-11: Von der Kurierfreiheit zum HPG in Deutschland und die Positionen der nichtärztlichen Psychoanalytiker in dieser Entwicklung.

Ich benutze als Arbeitsmaterial neben einer Fülle von persönlichen Aufzeichnungen und Protokollen aus meiner bisherigen psychoanalytischen Laufbahn Dokumente aus dem 1947 gegründeten Institut für Psychotherapie e. V. Berlin, den Kommentar zum Heilpraktikergesetz von Kurt Käfer aus dem Sammelwerk: "Der Heilpraktiker" und das Rechtsgutachten, veröffentlicht in der Schriftenreihe des BDP, von Hans­ Heinrich Rupp über Verfassungsfragen bei der Anwendung des Heilpraktikergesetzes auf Diplom-Psychologen.

Ich skizziere sehr knapp und kurz: Seit 1864 Kurierfreiheit im Bundesgebiet des Norddeutschen Bundes und seit der Reichsgründung im ganzen Reichsgebiet. Eine Approbation benötigte nur, wer sich als Arzt bezeichnen wollte. 1883 wurde allen nicht approbierten Personen bei Strafe verboten, die Heilkunde im Umherziehen auszuüben.

Es wurde nötig, den Begriff "Ausübung der Heilkunde" in der Rechtsprechung zu entwickeln. Unter Ausübung der Heilkunde verstand man schließlich im gewerbepolizeilichen Sinne  „jede, nach allgemeiner Auffassung eine besondere ärztliche Fachkenntnis voraussetzende Tätigkeit, welche auf Feststellung oder Heilung oder Linderung von Krankheiten bei Menschen und Tieren gerichtet ist, mag sie von einem wissenschaftlich gebildeten Arzt oder einem Laien vorgenommen werden." Simmel erwähnt 1926, daß in Deutschland unter Führung der "Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung des Kurpfuschertums“ eine starke Bewegung im Gange war, die Kurierfreiheit durch legislative Maßnahmen aufzuheben. (S.192)

Am 17.2.1939 wird das Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) erlassen. Es hebt die Kurierfreiheit auf, die gesamte nichtärztliche Ausübung der Heilkunde wird unter Erlaubniszwang gestellt. Als einheitliche Berufsbezeichnung wird die Bezeichnung "Heilpraktiker" festgesetzt. Wer seither ohne Erlaubnis als Nichtarzt Heilkunde ausübt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe oder mit einer dieser Strafen bedroht. Das Gesetz verfolgte die Absicht, die Heilkundeausübung durch Nichtärzte zum Erliegen zu bringen. Zukünftig sollte die Erlaubnis nur in besonders begründeten Ausnahmefällen und mit der Berufsbezeichnung "Arzt für Naturheilkunde" erteilt werden.

Die Definition der Ausnahmefälle war dem Reichsminister des Innern überlassen, der allerdings das Einvernehmen des Stellvertreters des Führers einzuholen hatte. Das war deshalb pikant, weil Rudolf Heß als Stellvertreter des Führers selbst „im Vorberuf“ Heilpraktiker gewesen sein soll. Für die Psychotherapeuten gab es damals schon das Zentralinstitut, an welchem "behandelnde Psychologen" mit staatlicher Anerkennung ausgebildet wurden. Eine genauere Regelung war vorgesehen, kam aber in den Kriegsjahren nicht mehr zum Abschluß. Jedenfalls war geplant, den im Deutschen Institut für psychologische Forschung und Psychotherapie" ausgebildeten "behandelnden Psychologen" im Bereich der Heilkunde einen Sonderstatus zu geben, worauf J.P Vogel, unser früherer Justitiar, 1964 in einem Aufsatz: "Die Rechtsstellung der ärztlich nicht vorgebildeten Psychotherapeuten" hinwies.

Nach dem Zusammenbruch des Nazi-Reiches und der Auflösung seiner Regierung keimten in Berlin, Stuttgart, München und anderen Orten die Bemühungen um Weiterführung, Neubelebung und Neubeginn der psychotherapeutischen Arbeit. Die "behandelnden Psychologen" standen nicht nur unter dem Schutz der Ärzte als Heilhilfspersonen, sondern wurden von ihnen gebraucht, weil ohne sie an eine auch nur minimale Versorgung der Bevölkerung nicht zu denken gewesen wäre. Das HPG, das ja erst nach Inkraftsetzung des Grundgesetzes 1949 mit Änderungen am 2.3.1974 wieder in das Regelsystem der heilkundlichen Berufserlaubnis eingeführt wurde, hatte für die nichtärztlichen Psychoanalytiker bis in die letzten Jahre keine Bedeutung. Die interne Regelung, daß der nichtärztliche Psychotherapeut nur nach Zuweisung durch den Arzt behandeln dürfe, wurde von mehreren Länderregierungen im Sinne eines Duldungsrechtes akzeptiert. In Berlin ist z.B. für mich und andere langjährig praktizierende Psychoanalytiker die alte Verordnung des Gesundheitssenats nicht (noch nicht) für ungültig erklärt, daß Einwände nach dem HPG nicht bestehen, wenn Behandlungen erst nach Zuweisung durch den Arzt begonnen werden. Im gleichen Sinne hält ja bis heute auch die KBV die HPG-Erlaubnis im Delegationsverfahren nicht für erforderlich. Doch ich will den späteren Referaten nicht vorgreifen.

Ein historisches Kuriosum will ich aber doch noch aus der Kiste holen, auf das ich bei der Schilderung von Freuds Gedanken zur weltlichen Seelsorge hinwies.

In den alten Akten des Berliner Instituts fand sich ein Schreiben der Provinzialregierung Mark Brandenburg an die Deutsche Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen in der sowjetischen Okkupationszone Abt IV Berlin unter dem Datum Potsdam, ans 30.Aprl 1947 mit dem Betreff: „Anregung zur Schaffung einer Approbation als Seelenarzt“. Unterzeichnet von einem Oberregierungs-Medizinalrat Dr.Glogau. Ich kann leider aus Zeitgründen nur Teile zitieren. Es beginnt mit den Sätzen: "In der klassischen und vorklassischen Zeit, als man die Kranken von Dämonen besessen glaubte, sind die Priester zugleich Ärzte gewesen. Daraus hat sich bis zur Gegenwart der Begriff "Seelsorger" abgeleitet und es wäre gut, wenn die Priester weniger Theologen als Seelsorger geblieben wären, weil die Entwicklung der Seelenkunde erwiesen hat, daß die Menschheit noch immer von dämonischen Kräften des seelisch Unbewußten beherrscht und in kapitalistischer Raffgier (man beachte den Kotau vor der russischen Besatzungsmacht) zu den Weltkatastrophen der letzten Jahrzehnte geführt wurde". Es folgt dann eine Abhandlung über die mechanistische Entwicklung der Medizin. Unter Berufung auf den "Altmeister der modernen Wissenschaft der Psychoanalyse, Prof. Dr. Siegmund Freud", heißt es dann weiter: "Es haben sich deshalb Psychologen, Pädagogen und Theologen, die sich zur Seelsorge berufen fühlten, dem Studium der Psychotherapie gewidmet, obwohl sie von den medizinischen Fakultäten und den Gesundheitsbehörden nicht als Seelenärzte anerkannt werden konnten. Sie mußten als Heilkundige mittlerer Heilberufe registriert werden. ....Ihre Existenz war im "Dritten Reich" schon als "jüdisch verseuchte, mystische Afterwissenschaft" erschwert, aber man wagte es damals nicht, sie zu verbieten."

Es wird für diesen Personenkreis nun für die sowjet. Zone analog zu den Sonderapprobationen der Zahn- und Tierärzte zunächst bei der medizin. Fakultät eine Approbation als SEELENARZT vorgeschlagen und eine Promotion als Dr.med.psychol. angeregt. Es folgen curriculare Vorstellungen. Bereits tätige Psychotherapeuten verbleiben in ihren Rechten und erhalten die Approbation. Sie können den Titel Dr.med.psychol. durch eine Dissertation erwerben. Verdienten Psychotherapeuten, die das 60.Lebensjahr überschritten haben, kann der Titel honoris causa verliehen werden."

So freundlich dachte man damals in diesen schlimmen Zeiten an unsere Profession. Dabei ist es aber auch geblieben. Eine Stellungnahme der Deutschen Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen ist jedenfalls nicht bekannt geworden.

Ich kehre zur Gegenwart zurück.

Seit dem vergangenen Jahr wird das bisherige Duldungsrecht für psychoanalytische Behandlungen durch nicht ärztlich Approbierte, soweit sie im Grunde alle im oder einer Art Delegationsverfahren tätig sind, durch sozialrichterliche Urteile überholt. Der Passus in den neuen Psychotherapie-Vereinbarungen, wonach der delegierte psychologische Psychoanalytiker in seiner Behandlung „eigenverantwortlich und selbständig tätig wird“, führte zu der richterlichen Feststellung, daß deshalb die HPG-Erlaubnis einzuholen sei, was wiederum, trotz gegenteiliger Rechtsauffassungen, z.B. auch bei der KBV, für die Berliner Ge­sundheitsbehörde und die Berliner KV den Aufforderungscharakter hatte, zunächst beim Wechsel von Beauftragung zur Delegation nach absolviertem Examen die HPG-Erlaubnis anzufordern. Ungeachtet der positiven Möglichkeiten, die der derzeitige DGPPT- Vorsitzende in dieser Rechtsentwicklung sieht, sind die Konsequenzen noch nicht absehbar. Jedenfalls gibt es in Berlin für die Psychoanalytiker, die weder Ärzte noch Diplom-Psychologen sind, noch keine behördliche Empfehlung für die bei Diplom-Psychologen allerorts eingeführte eingeschränkte Überprüfung. Findet die DGPPT als berufspolitische Vertretung aller ihrer Mitglieder hier nicht in kürzester Zeit einen brauchbaren Weg zur Rechtshilfe, müssen diese Kolleginnen und Kollegen ihre eigenen berufsrechtlichen Initiativen ergreifen. ich frage mich allerdings gelegentlich, ob uns im immerwährenden Verlangen, nun endlich berufsrechtlich Sicherheit und Ruhe zu haben, nicht doch Sensibilität für staatsbürgerliche Würde abhanden gekommen ist: 

Denn es ist ja doch eine Beleidigung unseres Standes, wenn ein Amtsarzt überprüfen soll, ob humanwissenschaftliche Akademiker, deren psychoanalytische Qualifikation denen der ärztlichen Kollegen ebenbürtig ist und deren Abschlussexamen von der KBV und den KVen als Körperschaften öffentlichen Rechts anerkannt ist, der Volksgesundheit Schaden zufügen können; und dies möglicherweise bei Kolleginnen und Kollegen, die Jahrzehnte verantwortungsbewußt Patienten behandelt haben.

Doch dieses Thema wird uns in den weiteren Referaten und der gemeinsamen Diskussion heute Nachmittag auferlegt bleiben.

Der andere Weg über ein Psychotherapeutengesetz ist nach neuesten Informationen, die uns sicher später Herr Werthmann oder Herr Halbach geben werden, in den nächsten Jahren sicher noch nicht offen. (Anmerkung des Autors im Jahre 2000: Der Vortrag wurde 1989 gehalten, das PTG trat 1999 in Kraft). Die HPG-Lösung mit allen ihren Mängel entledigt die Politiker allerdings auch des Druckes für eine politische Lösung.

Ich will, wiederum aus Zeitgründen, meine Punkte 12-17 nur grob markieren:

Die Laienanalyse in der kassenärztlichen Versorgung.

Sie steht in engstem unauflösbarem Zusammenhang mit der Psychoanalyse durch Ärzte in der kassenärztlichen Versorgung. Wenige Stichworte: Erste private psychoanalytische Polikliniken in Berlin, erste Öffnungen von Versicherungsanstalten für Psychotherapie in Berlin, Neurose und Krankheitsbegriff, die Übernahme der Psychotherapie durch die gesetzlichen Krankenkassen und schließlich der Arztvorbehalt in der RVO und die Erfindung des Delegationsverfahren.

Auf diesem Weg seit 1945 hat die überwiegende Mehrheit der ärztlichen Kolleginnen und Kollegen den sog. Nichtärzten eine beispiellose Solidarität vorgelebt. Unser gelegentliches Murren hat sie nicht gekränkt, sondern angespornt. Sie mußten, wenigstens als wissende Psychoanalytiker, damit rechnen, daß eines Tages ihre oral Abhängigen mit dem für sie erfundenen Delegationsverfahren erwachsen und unabhängig werden wollten, indem sie selbst begannen um ihren Besitzstand zu kämpfen und mindestens in der gemeinsamen Gesellschaft, der DGPT und später DGPPT, ihre Gleichberechtigung nicht nur als Mitglieder, sondern auch fachlich zu beanspruchen.

Das Thema PSYCHOTHERAPIE IN DER VERSORGUNG war Gegenstand des gemeinsamen Kongresses der DGPPT mit der AÄGP 1977 in Bremen. Ich möchte auf den veröffentlichten Kongreßbericht verweisen und darin wieder auf den umfassenden und wie immer temperamentvollen Vortrag unseres Kollegen EHEBALD über „Analytisch Psychotherapeutische Versorgung der Bevölkerung. Utopie und Wirklichkeit.“

Seine damalige Prognose war richtig, wenn er meinte: "Es kann etwa davon ausgegangen werden, daß es in rund 10 Jahren gelingt, den Bedarf an analytischen Therapeuten und Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten in den Ballungsgebieten zu decken. Erst dann werden nach aller Erfahrung ausgebildete Therapeuten auch in kleinere Städte abwandern." Es wäre von mir fahrlässig, den ganzen Bereich VERSORGUNG mit wenigen Worten hinter mich zu bringen. Das Material und die historische Lebendigkeit führt mich zu der Anregung, den damaligen Vortrag EHEBALDs noch einmal zu veröffentlichen und etwa einer Publikation über diesen berufspolitischen Tag als Arbeitsmaterial anzufügen. Selbstverständlich mit Erlaubnis des Verfassers.

Ich möchte zu diesem Punkt abschließend nur eine Erinnerung beleben. Eine Erinnerung, als eine Gruppe damaliger Ausbildungskandidaten in Berlin, darunter Cilly Verheyden, Michael Luhn, Armin und Irmgard Pollmann, die damals glaube ich noch nicht Pollmann hieß, Elisabeth Krause und ich, als diese Gruppe nachts neben Käsebroten und Rotwein auf dem Boden sitzend Rundschreiben sortierten, in denen wir unseren Sorgen um die Weiterbildung Ausdruck verleihen wollten. Die Übernahme der psychotherapeutischen Behandlungen durch die gesetzlichen Krankenkassen schien die Ausbildungskandidaten auszuschließen. Wir schickten damals auch eine Delegation zu Herrn Haarstrick nach Bremen, der sich unserer Sorgen kollegial annahm. Obwohl unsere Befürchtungen sich später als überflüssig herausstellten, animierten sie uns zu dem Entschluß, sofort Examen zu machen und die schriftliche Abschlußarbeit zu beginnen, die die meisten von uns dann auch in einem Zeitraum von 3 Monaten zu Papier brachten. Seither sind die meisten von uns berufs- und institutspolitisch engagiert geblieben. Der Leidensweg der USA-­Kollegen ist uns erspart geblieben. Auch wenn heute der Eindruck zunimmt, manches hätte damals mit etwas mehr Biß erkämpft werden können, z.B. die weitere Zulassung von Kolleginnen und Kollegen, die aus anderen humanwissenschaftlichen Disziplinen als die der Medizin und Psychologie die Psychoanalyse erlernen wollten, überwiegt die Dankbarkeit für den damaligen Einsatz unserer ärztlichen Berufspolitiker.

Damit bin ich aber schon bei meinem vorletzten Punkt:

1970 hieß es in der Präambel zum Mitgliederverzeichnis unserer damals noch DGPT genannten Gesellschaft: sie "vereinigt ärztliche Fachpsychotherapeuten und behandelnde Psychologen", worunter, wie wir wissen, alle sogenannten nichtärztlichen Psychoanalytiker gemeint waren.

Die neuen Weiterbildungsrichtlinien, über die die Mitgliederversammlung auf diesem Kongreß abstimmen soll, führten in ihrem Entwurf nur noch Ärzte und Diplom-Psychologen auf. Erst auf meine Intervention im Vorstand wurde der Passus "gegenwärtig" eingefügt, und zwar als Herausforderung, dieses "gegenwärtig" baldmöglichst zu verändern. Der Warnung vor einer Medizinalisierung der Psychoanalyse würde sonst bald die vor einer Psychologisierung folgen.

Die Psychoanalyse kann weder in der Medizin noch in der Psychologie aufgehen und sie soll auch nicht nur von Ärzten und Diplom-Psychologen ausgeübt werden. Eine berufsrechtliche Regelung wird ihr nur gerecht, wenn diese die spezifischen psychoanalytischen Zulassungsvoraussetzungen und die spezifische psychoanalytische Weiterbildung zu Grunde legt.  Wenn S.Freud, wie zu Beginn aus dem Vorwort zu Pfisters Buch zitiert, die Schadensvermeidung in der heilkundlichen Anwendung der Psychoanalyse allein durch die Persönlichkeit des Analytikers gewährleistet sieht, sollte unser berufspolitisches Handeln vor den Regelungen der zuzulassenden akademischen Vorberufe auf die langjährige Zulassungspraxis zur psychoanalytischen Ausbildung generell gerichtet sein.

Anders ausgedrückt: Recht und Gesetz werden sich langfristig so gestalten, wie wir zur psychoanalytischen Weiterbildung zulassen. Es ist vorauseilender Gehorsam, wenn wir unsere Zulassungspraxis dem jeweils geltenden Recht anpassen, das ja immer nur ein Niederschlag standespolitischer Ellenbogenpolitik ist. Die Rechtskundigen unter uns wissen, daß es eine Rechtsfortbildung und eine Weiterentwicklung des Rechts durch die Rechtssprüche der Richter gibt. Die hängen aber nicht im luftleeren Raum und orientieren sich nicht nur an etablierten Positionen, sondern gestalten jeweils einen Casus, den Menschen in der Regelung ihrer Lebensbedürfnisse schaffen.

Julian Jaynes prägt in seinem Buch: "Der Ursprung des Bewußtseins durch den Zusammenbruch der bikameralen Psyche" den Begriff von der Übergangsmentalität, die die Zukunft im Sich-Klammern an jeweilige Autorisierungsmächte verfehlt. (S.380)

Das Verlegenheitswort "gegenwärtig" in dem Entwurf unserer Weiterbildungsrichtlinien und Zulassungsvoraussetzungen ist so ein Ambivalenzbegriff, der vages Offenlassen als Abwehr gegen Handlungsmut gebraucht.

Ehebald sprach in seinem Bericht 1977 von der Zehnjahresschlacht für die Anerkennung der neurotischen Erkrankung im versicherungsrechtlichen Sinne. Wer hindert uns an einem Zehnjahreskampf, es muß ja nicht geschlachtet werde, für die Anerkennung unserer Zulassungsbedingungen, wie wir sie für die Entwicklung der psychoanalytischen Wissenschaft und Therapie für erforderlich halten. Wer sollte es denn besser wissen?  Die interdisziplinäre Zulassung zur psychoanalytischen Ausbildung sollte in dem von Bundesgesundheitsministerium ausgeschriebenen Gutachten zum Psychotherapeutengesetz nicht übersehen werden.

Wenn ich eingangs versprach, am Ende meines Vortrags etwas über die Keuschheit der DGPPT in ihrer Berufspolitik zu sagen, dann meinte ich einmal ihre Haltung der Enthaltsamkeit gegenüber dem, was etymologisch mit dem gotischen Herkunftswort "kuskeis" kirchensprachlich verbunden wurde, nämlich die Abstinenz gegenüber denjenigen, die von den heiligen Autoritäten als "fremd" also nicht eigentlich zugehörig erlebt werden. Die Bereitschaft, was "man" nicht gerade fruchtbar verwenden kann, auszuschließen, wenn es scheinbar höheren Zielen im Wege ist.

Psychoanalytisch meine ich aber die nicht vollzogene Unterscheidung zwischen Potenz und Omnipotenz. Zum 100.Geburtstag Freuds hielt Menninger 1956 eine Rede, in der er damals als guter Amerikaner ausrief: "Wir glauben, daß es nichts gibt, das man nicht erreichen kann, wenn man sich nur darum bemüht.!"

Unser schneller Verdacht auf infantil-omnipotente Phantasien hinter solch wohltönenden Proklamationen entlarvt sich oft als Abwehr unserer Kastrationsängste. Die Besinnung auf unsere Potenz ist nicht nur erlaubt, sie ist nötig. Die Geschichte der Psychoanalyse gegenüber der Medizin, die Geschichte der Laienanalyse in den USA zeigen, was möglich ist, wenn Psychoanalytiker in ihrer Berufspolitik sich nicht nur mit der Vorlust zufrieden geben, sondern ihre Ziele konsequent und hartnäckig verfolgen, auch, wenn es sein muß, gegen den Konsens des Apparates ihrer Fachgesellschaften. Potenz bedeutet schließlich Lust und lustvolle Macht, Neues zu schaffen. Das gilt auch für die DGPPT

Gerd Böttcher
Bismarckstraße 30
1000 Berlin 39 (Wannsee)

Nachwort: Der Vortrag wurde von einer überwältigenden Mehrheit begrüßt. Sie stimmte auf der sich anschließenden Mitgliederversammlung der DGPT, die damals noch DGPT hieß, einer Resolution zu, wonach die DGPT bemüht bleiben solle, alles zu tun, um den interdisziplinären Charakter der Psychoanalyse zu wahren.

Dieser Beschluß sollte als Fußnote der jeweiligen DGPT-Weiterbildungsordnung angefügt werden.


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