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Der Schabernack mit den qualifizierten Therapeuten

 

Europäische Regelungen gefährden Qualität der Psychotherapie in Deutschland

Hoch gestartet - tief gelandet
(Presseerklärung)

Jeder EU-Bürger, der in einem Mitgliedsland eine Berufsausbildung absolviert und zwei bzw. drei Jahre in seinem Beruf gearbeitet hat, wird diesen Beruf in naher Zukunft in allen anderen europäischen Ländern ausüben dürfen. Das ist zumindest in dem zur Zeit in den Ausschüssen des Europa-Parlaments diskutierten Richtlinienentwurf so vorgesehen. Der Richtlinienentwurf soll dazu dienen, nationale Barrieren bei Berufen mit unterschiedlichem Regelungsstatus weiter zu erleichtern. Für einzelne staatlich geregelte Berufsausbildungen wie der des Psychotherapeuten in der Bundesrepublik ist eine Erleichterung von Bundestag und Bundesrat bereits im Mai diesen Jahres verabschiedet worden. Die Novellierung des Psychotherapeutengesetz, mit der das deutsche Recht an die bisherige europäische Richtlinien angepasst wurde, tritt ab nächstem Jahr in kraft. Mit dieser Änderung sind erste Möglichkeiten der Anerkennung von geringer qualifizierten Therapeuten aus den EU-Ländern in Deutschland geschaffen worden.

Die Autoren des neuen Richtlinien-Entwurfs setzen nun auf noch größere Niederlassungs- und Berufsausübungsfreiheit. Der Abbau von Barrieren und Hürden ist von allen Seiten gewollt. Die Konsequenzen, so fürchtet der Verband Psychologischer Psychotherapeuten (VPP) im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP), werden dabei jedoch nicht in vollem Umfang vorhergesehen. Der VPP/BDP macht darauf aufmerksam, dass Psychotherapie künftig ohne das in Deutschland vorausgesetzte Psychologie- oder Medizin-Studium nach einem beliebigen Hochschulstudium mit entsprechender Ausbildung und Berufserfahrung von jedem anderen Europäer auch in Deutschland ausgeübt werden kann. Dies auch in Psychotherapieverfahren, die in Deutschland gar nicht zugelassen sind. Damit könnte auch ein Bergbau-Ingenieur, der eine Ausbildung in Kurzzeittherapie absolviert hat, in Deutschland als Psychotherapeut arbeiten.

Das zugrunde liegende Problem resultiert aus einem - wie der VPP/BDP meint - Fehler in der Gesetzeskonstruktion des Psychotherapeutengesetzes. Das Gesetz hat die Psychotherapie als Ausbildungsberuf konstruiert, nicht als Weiterbildung in Psychologie oder Medizin. Wenn nun unterschiedliche europäische Ausbildungswege zum Psychotherapeuten verglichen werden, fällt das in Deutschland notwendige vorgeschaltete Studium der Psychologie oder Medizin ganz weg. Solche wesentlichen Unterschiede nicht zu berücksichtigen, nur weil jemand praktische Erfahrung im Beruf nachweisen kann, birgt erhebliche Risiken.

Bei der Währungsunion haben die Hüter der Stabilität viel Wert auf hohe Standards gelegt. Soll für die Psychotherapie nicht ein adäquater Maßstab gelten? Soll das Qualitätsniveau, das der Gesetzgeber in Deutschland mit dem Psychotherapeutengesetz festgeschrieben hat, auf dem europäischen Altar geopfert werden?

Heinrich Bertram, Europa-Beauftragter für Psychotherapie des BDP und stellvertretender Vorsitzender des VPP, verneint dies ausdrücklich. "Wir sind nicht so hoch gestartet, um künftig ganz tief zu landen". Sinkende Qualität in einem so sensiblen Bereich wie der Psychotherapie wäre ein zu hoher Preis für die Niederlassungsfreiheit.

CS

27.11.03

(Anmerkung: Hervorhebungen erfolgten durch die Redaktion "bbpp")

Der Schabernack mit den qualifizierten Therapeuten

Kommentar der Berliner Blätter

Unter Schabernack verstehen wir hier nach etymologischer Herleitung "Beschimpfung und Spott". Auf solchen Schabernack greift der BDP zurück, wenn er in seiner pauschalen Warnung vor den "Europa-Psychotherapeuten" auf den Bergbau-Ingenieur mit einer Ausbildung in Kurzzeittherapie hinweist, der damit dann in Deutschland als Psychotherapeut arbeiten.könne. Lassen wir offen, ob ein Bergbau-Ingenieur mit soliden Kenntnissen in Einsturzgefahr, gerade die Kurzzeittherapie wählen würde. Und wer wählt denn schon ein Therapieverfahren, das mit seiner "Kürze" imponieren will, wenn nicht ein paar vom "Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP)" eben "wissenschaftlich anerkannte" Verhaltenstherapeuten, die sich von einer kürzlich vom WBP gelobten Expertise bescheinigen lassen, schwere Persönlichkeitsstörungen im Durchschnitt mit nur 2,7 Stunden therapieren zu können. Man muß es den vielen seriösen Verhaltenstherapeutinnen und -therapeuten wünschen, daß sie sich von solchen Kurzzeitwettbewerben nicht stimulieren lassen. Über von Verbandsfunktionären inaugurierte "Dopingfälle" würde man sich dann gar nicht mehr wundern.

Wenn man sich in Deutschland über die Qualifizierung von "Wissenschaftlichkeit" in der Psychotherapie schon so streitet, daß ein renommierter Wissenschaftler und Psychotherapeut wie z.B. Michael B. Buchholz schreiben kann:

Wenn man bedenkt, dass eine Menge erfahrener und akademisch hochrangiger Leute mit viel Anstrengung Befunde zusammentragen, deren klinische Bedeutung sie nicht würdigen oder deren Inkonsistenz sie nicht erkennen oder die sie mit anderen, widersprechenden empirischen Befunden nicht diskutieren, so muß man davon ausgehen, dass hier nicht persönliche Insuffizienzen den Ausschlag geben, sondern man muß die Expertise als einen empirischen Beleg dafür ansehen, dass die Strategie des Wissenschaftlichen Beirats, ausschließlich mit RCTs die Wirksamkeit von Therapieverfahren zu ermitteln wäre, in sich gescheitert ist – und das bei einem Therapieverfahren, das in seinen empirisch-methodischen Überprüfungen den Anforderungen des WB wohl noch am allernächsten kommen dürfte.

Michael B.Buchholz, Stellungnahme zu Birgit Kröner-Herwig: "Expertise zur Beurteilung der empirischen Evidenz des Psychotherapieverfahrens Verhaltenstherapie" (Link zum Text pdf-Datei, aus der Homepage der DGPT)

dann sollte man, wie es der BDP tut, mit Sätzen wie: "Europäische Regelungen gefährden Qualität der Psychotherapie in Deutschland" behutsamer umgehen.

 

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