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Hamburg, Berlin, den 17.12.2013

Stellungnahme der DGPT, des bvvp und der VAKJP
zum Positionspapier des GKV-Spitzenverbandes

„Positionspapier
zur Reform des Angebots an ambulanter Psychotherapie“

Am 27.11.2013 hat der GKV-Spitzenverband ein „Positionspapier zur Reform des
Angebots an ambulanter Psychotherapie - Vorschläge der Gesetzlichen Krankenkassen“
vorgelegt. Das vorgeschlagene Maßnahmenbündel dient dem erklärten Ziel, „für alle
Versicherten weiterhin einen möglichst guten, niedrigschwelligen Zugang zur
psychotherapeutischen Versorgung zu gewährleisten, ohne die
Versichertengemeinschaft der GKV finanziell zu überfordern“. Dabei sollen mit
Sprechstundentätigkeiten der Psychotherapeuten eine Verbesserung der
Akutversorgung erreicht und zugleich ein Anstieg der Ausgaben für Psychotherapie
verhindert werden. Zur Finanzierung sollen Umstrukturierungen sowohl bei der
Bedarfsplanung als auch bei der Richtlinientherapie erreicht werden.

Hinsichtlich der Bedarfsentwicklung werden Unter- und Überversorgung sowie
Fehlallokationen im Bereich psychotherapeutischer Versorgung unterstellt, die behoben
werden soll, indem Versorgungssitze in nominell überversorgten Regionen nicht
nachbesetzt werden. Dabei geraten mehrere bereits im Rahmen der Beratungen des
GKV-Versorgungsstrukturgesetzes explizierte Aspekte aus dem Blickfeld:

 dass die nominelle Überversorgung in den meisten Gebieten ein Artefakt der
historischen Sitzverteilungssituation bei Einführung der Bedarfsplanung für
Psychotherapie darstellt,

 dass insbesondere die großen Städte umliegende Regionen mitversorgen,

 dass erwachsene Patienten zur Vermeidung von Sozialkontrolle weitere Wege
auf sich nehmen,

 dass mit erweiterten Versorgungsaufgaben durch Sprechstundentätigkeit bei
gleichzeitiger Reduktion der Sitze eine Erhöhung von Versorgungsengpässen
und Wartezeiten provoziert würde,

 dass die Annahme, eine Verkürzung der Therapiedauer sei Ausdruck einer
Besserung oder Heilung, unhaltbar ist und dass es im Gegenteil für einen
positiven Verlauf der Behandlung sprechen kann, wenn Patienten dazu bereit
sind, sich auf eine gründlichere und damit längerfristige Behandlung einzulassen,

 dass es auch in so genannten überversorgten Bereichen, zum Beispiel in
Universitätsstädten, erhebliche Wartezeiten bis zum Zu-Stande-Kommen eines
Erstkontaktes gibt und Langzeitpsychotherapieplätze Mangelware sind.

Reale Überversorgung kann nur durch regionale Analysen festgestellt werden, wenn
man nicht Versorgungsverschlechterungen riskieren will.

Zur Finanzierung von Akuttherapie und Sprechstundenleistungen soll des Weiteren eine
grundsätzliche Neustrukturierung der psychotherapeutischen Versorgung eingeführt
werden. Nach 1 – 2 verpflichtenden Akutsprechstunden (als Erstkontakte mit einer
überwiegend diagnostischen und beratenden Aufgabe) sind 3 Probatorische Sitzungen
und anschließend 12 Stunden Akuttherapie (T1) vorgesehen, die antragsfrei, aber
anzeigepflichtig jedem Patienten zustehen sollen. Dadurch sollen „Anreize geschaffen
werden, leichte psychische Störungen mit Krankheitswert möglichst schnell zu heilen
oder zumindest zu lindern“ und „dauerhafte Anreize für eine Absenkung der
Therapiedauer“ gesetzt werden. Erst nach einer obligatorischen 6-wöchigen Wartezeit
soll dann ein weiteres, ebenfalls nur anzeigepflichtiges Kontingent von weiteren 10
Stunden Psychotherapie (T2) abrufbar sein.

Bereits jetzt werden ca. 60 % aller Behandlungen nach den Psychotherapierichtlinien
innerhalb des Kontingents von 25 Stunden beendet. Alle aktuellen Studien zur
Versorgungssituation weisen aus, dass ganz überwiegend Patienten mit mittlerer bis
schwerer psychischer Störungsbelastung zur Therapie kommen. Die einschlägigen
Leitlinien (z.B. NVL unipolare Depression, S3 LL Angststörungen) gehen von variablen
Zeiten der Akuttherapien, von längeren Behandlungsdauern bei Komorbidität und von
Durchführung von Akut- und Erhaltungstherapien in einem Guss aus. Die Aussicht auf
Unterbrechung würde die Entwicklung der für den Behandlungserfolg entscheidend
wichtigen therapeutischen Beziehung behindern und den Patienten mitunter krisenhaften
Situationen aussetzen.

Somit ist die vorgeschlagenen Strukturierung (T1 und T2) mit Unterbrechung laufender
Therapien nicht erforderlich, nicht leitliniengerecht und weder therapeutisch noch ethisch
vertretbar. Der mit den Portionierungen beabsichtigte Druck auf Patient und Therapeut
und die regelhafte Unterbrechung laufender Therapien würden zwangsläufig bei vielen
Patienten zu unberechenbaren negativen Auswirkungen auf den Therapieverlauf und die
Heilungschancen führen. Eine Versorgungsverschlechterung und höhere Kosten wären
die absehbaren Folgen.

Die bei schweren Störungen vorgeschlagene Umgehung der 6-wöchige Wartezeit (der
sog. Bypass) bedeutet für das Gros der von der KZT-Gutachterpflicht befreiten
PsychotherapeutInnen eine auf die 15. Sitzung vorgezogene Berichtspflicht im
Gutachterverfahren. Für Therapeuten und Patienten ergeben sich dadurch neue
bürokratische Hürden, für die Krankenkassen – soweit Psychotherapeuten sich nicht
entgegen Behandlungserfordernissen abschrecken lassen – Mehrausgaben für das
Antrags- und Gutachterverfahren.

Offensichtlich inkonsistent stellt sich die Haltung zu den erforderlichen Dauern der
Langzeittherapien dar. Eine Absicht, Langzeittherapien einschränken zu wollen, wird
zwar in Abrede gestellt. Aber zugleich wird eine allgemeine Herabsetzung der
Regeldauer von Psychotherapien auf 50 Sitzungen vorgeschlagen, was eine
empfindliche Beschneidung der bisherigen Kontingente bedeuten und insbesondere
Indikationsentscheidungen zur Behandlung schwer kranker Patienten erschweren
würde. Ein Behandlungsbeginn ohne sichere Abschätzungsmöglichkeit, ob eine
hinreichende Behandlungsdauer überhaupt zur Verfügung steht, wäre
hochproblematisch und im Rahmen einer auf der Basis einer therapeutischen
Regression basierenden analytischen Psychotherapie sogar ein Kunstfehler,
vergleichbar damit, dass mitten in einer Operation aus Rationierungsgründen der Strom
ausfällt. Die weiteren Behandlungsschritte in einer LZT sollen zwar je nach Einzelfall im
Gutachterverfahren festgelegt werden, jedoch sind weitere Kontingentierungen samt
maximaler Behandlungsdauer nicht konzipiert.

Den Vorschlägen insgesamt liegen Annahmen zugrunde, PsychotherapeutInnen
behandelten ihre PatientInnen länger als notwendig und Patienten nähmen
unnötigerweise Leistungen in Anspruch. Diese Annahmen werden durch die Ergebnisse
der aktuellen Studien zur Versorgungssituation widerlegt. Die Annahmen stellen ein
Globalmisstrauen einer Fachgruppe und einem Fachgebiet gegenüber dar, das besser
untersucht und qualitätsgesichert (Gutachterverfahren, 60% Supervision/Intervision!)
arbeitet als die meisten anderen Fachgruppen. De facto müssen angesichts der hohen
Indikationsqualität die angedachten Kürzungsabsichten zwangsläufig zu schädlichen
Einschnitten in die Patientenversorgung führen, mit nachfolgend höheren medizinischen
Versorgungskosten.

Die Vorschläge des GKV-Spitzenverbands verstehen sich als erste Positionierung einer
als offen konzipierten Diskussion. Das ist gut und auch notwendig. Die
unterzeichnenden Verbände sehen einen hohen Informations- und Diskussionsbedarf
und halten eine Auseinandersetzung unter Einbezug aller fachlichen und
versorgungspolitischen Gesichtspunkte für dringend geboten. Zur Verbesserung
aktueller Versorgungsprobleme und Förderung von Erstkontakten und
Sprechstundentätigkeit sind adäquate Vergütungsbedingungen und Modelle zu
entwickeln, die Versorgungsverbesserungen ermöglichen. Die unterzeichnenden Berufs-
und Fachverbände ärztlicher und Psychologischer Psychotherapeuten und Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapeuten sind bereit, diese Diskussion um eine bessere
psychotherapeutische Versorgung zu führen und in eine engagierte Auseinandersetzung
mit dem GKV-Spitzenverband und den Krankenkassen zu treten.

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