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Tilmann Moser
Die Erlaubnis zu töten
Über die Mordlust der IS oder des neuen Kalifats

Spätestens seit den öffentlichen Hinrichtungen westlicher Geiseln durch blutige Enthauptungen ist weltweite Empörung an der Tagesordnung, und eine große Allianz von Nationen hat sich zusammen geschlossen, um dem Terror Einhalt zu bieten. Ein riesiges Kalifat soll errichtet werden unter der Führung von „Politikern“ und Kriegern, deren Psychopathologie so offenkundig ist durch das Ausmaß der Verfolgung und brutalen Ermordung von Zehntausenden, ja Hunderttausenden, die von vielen Seiten als Völkermord bezeichnet wird. Und warum strömen aus aller Welt Tausende von fanatisierten Kämpfern nach Syrien, um beim Morden zu helfen? Und warum reisen Hunderte von fanatisierten Europäern dorthin, bereit zu vertreiben, zu vergewaltigen und zu töten? Und warum selbstmörderisch und mordbereite Deutsche, von denen man fürchtet, dass sie nach ihrer Heimkehr zu weiterem mörderischen Terror bereit sind?

Zwei erfahrene Psychoanalytiker haben in dem jüngst erschienenen Buch „Wie hältst du´s mit dem Tod?“ (Vandenhoeck und Ruprecht, 2014, Hrsg. Helmward Hierdeis) mit einem Rückgriff auf Freuds Theorie zur Tötungslust versucht, eine allgemeine Antwort zu finden.

Bernd Nitzschke rekapituliert einen Vortrag Freuds aus dem Ersten Weltkrieg (1915) und zitiert: „Sie verwundern sich darüber, daß es so leicht ist, Menschen für den Krieg zu begeistern,und vermuten, daß etwas in ihnen wirksam ist,ein Trieb zum Hassen und Vernichten, der solcher Verhetzung entgegen kommt.“ Der Satz könnte für die sogenannten Hassprediger und ihre aufgehetzte Gefolgschaft gelten, über deren Ausweisung aus Synagogen in Deutschland debattiert wird. Und Freud fügt hinzu: „Wir sind die Nachkommen einer unendlich langen Generationsreihe von Mördern. Die Mordlust steckt uns im Blut.“ Das ist ein fast biologisch-ethnologische Aussage, von der er sich nie mehr distanziert hat. Im Gegenteil,sie ist Teil seiner durch den Ersten Weltkrieg initiierten Theorie vom Todestrieb, der höchstens noch durch die mildernde Libido gebremst werden könnte, soweit er sich nicht zum Teil autoagressiv nach innen wendet, was die Selbstmordbereitschaft der Mörder mit erklären würde. Da Sexualität und Mordlust eng verbunden sind, wird die Freigabe der Massenvergewaltigung in vielen blutigen Kriegen gleichsam selbstverständlich als kollektiver Seelenmord eines Volkes.

Viel scheint die Psychoanalyse seit Freud zur kollektiven Mordlust nicht erbracht zu haben. Nitzschke weist fast sarkastisch darauf hin, dass in den großen, vielhundertseitigen europäischen Gesamtdarstellungen der Psychoanalyse im letzten Jahrzehnt der Tod als Thema nicht zu finden ist. Vor kollektiver Mordlust, aber auch vor Todesangst weichen Freuds Schüler offensichtlich scheu zurück.

Günther Bittner in seinem so klugen wie ethnologisch materialreichen Aufsatz mit dem Untertitel „Ein Versuch, Freuds Vorstellung einer instinktiv verwurzelten Destruktionslust zu rehabilitieren“ greift noch auf andere Äußerung von Freud zurück im Gefolge des zuerst willkommen geheißenen, später entsetzt kommentierten Ersten Weltkrieg zurück: Er schreibt: „Der letzte Schritt in Sachen Tötungstrieb wird in ´Das Unbehagen in der Kultur` (Freud, 1930a) vollzogen. Der früher deskriptive Befund wird bekräftigt: Der Mensch sei kein sanftes, ´liebebedürfteges Wesen … , das sich höchstens, wenn angegriffen, zu verteidigen vermag`. Vielmehr sei er bereit, den Mitmenschen zu 'demütigen, ihm Schmerzen zu bereiten, ihn martern und zu töten`. Die Tötungslust äußert sich aber bei Wegfall von Hemmungen 'auch spontan, enthüllt den Menschen als wilde Bestie, der die Schonung der eigene Art fremd ist.'“ Bittner wendet sich heftig gegen das Reiz- Reaktionsschema neuerer Theorien, wonach Tötungslust nicht auf einem angeborenen Trieb beruht, sondern auf sozialpsychologisch verständlichen Auslösern.

Viel plausibler erscheint angesichts der derzeit weltweiten Mordbereitschaft ein Wegfall von Hemmungen und eine Überschwemmung mit aufheizenden Hetze auf der Basis von Stammesfeindschaft oder religiöser Fronten. Dass aber enthemmter Trieb und sozialpsycholgische Reaktionen sich verstärkend ineinandergreifen: Demütigung und Verzweiflung durch Armut, Ausbeutung, Unterdrückung usw., ist kein Widerspruch, es braucht die Mischung und wechselseitige Durchdringung von Faktoren verschiedener Wirkungsebenen, um da Grauen zu erzeugen. Selbst massenhaft wirksame individuelle Faktoren kommen hinzu: Familienstrukturen, in denen Hass erzeugt wird in Kindern und Jugendlichen, der ein Ventil sucht für Rachetendenzen, die nach außen drängen, weil sie in der autoritär unterdrückenden Familie oder im Clan nicht ausgelebt werden können. Kommt dann noch eine legitimierende Ideologie hinzu, dann kommt es zur massenhaften Erlaubnis zum Töten. Bittner lässt sich die Urfassung von Freuds „Zeitgemäßes über Krieg und Tod“ (1915b) nicht entgehen zur „Hemmungslosigkeit des Urmenschen“:

„Der Tod des anderen war ihm recht, er erfaßte ihn als Vernichtung und brannte darauf, ihn herbeizuführen, Der Urmensch war grausamer … grausamer und bösartiger als die anderen Tiere. ...Er mordete gerne und wie selbstverständlich.“
Bittner weist zurecht auf neuere Forschungen zu „biochemischen Prozesse im Gehirn“ hin, auf das „Dopamin- bzw. endogene Opiatsystem, das 'Wohlfühlsystem`, das uns natürlicherweise 'belohnt`, wenn wir etwas für unser eigenes Überleben oder für die Arterhaltung getan haben.“ Das Triumph- und Freudengeheul der Banden nach getaner Mordarbeit bietet eine eindrucksvolle Bestätigung. Die Erlaubnis zum Töten wird durch die gruppendynamischen Ansteckungsprozesse erzeugt eine rauschhafte Verstärkung, und dies gegen perverse Versprechungen einer ins Grausame pervertierten Religion. Selbst die öffentlichen Hinrichtungen scheinen noch, neben der Rache am Feind, mit gezeichnet von einer Jahrtausende alten Tradition theologisch legitimierter Ritualmorde.

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