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Leserzuschriften:

 

„Es geht nur noch um die Silberlinge"
von Ulrich Sollmann

Das neue Psychotherapiegesetz 
grenzt nichtpsychologische und nichtärztliche Therapeuten aus

 

Es hat mehr als 20 Jahre gedauert, bis das Psychotherapeutengesetz (PTG) verabschiedet wurde. Seit dem 1.1.1999 ist die Bezeichnung „Psychotherapeut/Psychotherapeutin" nur noch Ärzten und Diplompsychologen vorbehalten. Die Abrechnung der psychologischen Psychotherapie übernehmen die gesetzlichen Kassen.

Eindeutige Verlierer des neuen Gesetzes sind die akademischen, „interdisziplinären" Therapeuten: Sozialwissenschaftler, Theologen, Pädagogen und so weiter. Sie dürfen zwar weiterhin Psychotherapie betreiben (nach dem Heilpraktikergesetz), sie dürfen aber den Titel nicht mehr führen und nicht mehr mit den Krankenkassen abrechnen.

Diese Konsequenz des neuen PTG läuft der ursprünglichen Absicht Sigmund Freuds und vieler anderer „Gründer" der Psychotherapie zuwider. Freud, Fernczi, Jung und andere setzen sich vehement dafür ein, daß nicht nur Ärzte und Psychologen, sondern auch Fachleute anderer Richtungen sich psychotherapeutisch ausbilden lassen konnten. Freud war der Meinung, „daß das Erlernen der Psychoanalyse nicht an die übliche Ausbildung des Arztes gebunden ist, deren Anwendung nicht nur in das Interessengebiet der Medizin, sondern auch verschiedener anderer Wissenszweige wie Psychologie, Philosophie, Pädagogik usw. fällt". Er wollte damit vermeiden, daß die Entwicklung der Psychotherapie dem einseitigen Menschenbild der naturwissenschaftlich dominierten Medizin unterlag. Namhafte Psychotherapeuten, die weder Arzt noch Psychologen waren, haben sich entsprechend der Maxime Freuds um die Entwicklung der Psychotherapie verdient gemacht: Melanie Klein, Anna Freud, Otto Rank, Erik Erikson und viele andere. Hätte das PTG damals schon gegolten, wären sie alle von der Psychotherapie ausgeschlossen gewesen.

Es besteht die Gefahr, daß das neue Gesetz die Lebendigkeit und Vielfalt in der Psychotherapie austrocknet und eine Erstarrung und Verarmung der verbleibenden Verfahren nach sich zieht.

Ellis E. Huber, ehemaliger Präsident der Landesärztekammer Berlin, kritisiert auf einer Protestveranstaltung verschiedener Fachverbände an der Universität Frankfurt, daß die „interdisziplinären" Psychotherapeuten der Lobbypolitik der Psychologen und Ärzte geopfert worden seien. Er äußerte die Befürchtung, daß es gerade hierdurch „zur Zerstörung des psychotherapeutischen Berufes überhaupt kommt". Dies wiederum würde „die Gefährdung des Gesundheitssystems nach sich ziehen. An die Stelle von Argumenten, Vernunft und dem bestreben, das Wohl des Patienten im Auge zu haben, ist das Geld getreten. Es geht eben nur noch um die Silberlinge".

Der Verdacht liegt nahe: Denn die psychotherapeutisch tätigen Pädagogen, Soziologen, Theologen und Angehörigen anderer Quellenberufe haben bislang unter identischen Bedingungen gearbeitet wie ihre psychologischen oder ärztlichen Kollegen. Sie haben auch an den selben Institutionen ihre Ausbildung absolviert, ja sie bilden dort heute zum Teil selbst Ärzte und Psychologen aus.

Inzwischen wurde eine Interessengemeinschaft gegründet, die durch Musterklagen und eine Verfassungsbeschwerde den betroffenen Kollegen und Kolleginnen zu ihrem Recht verhelfen will.

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