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Wir bedanken uns bei Peter Seidel, der uns nachfolgenden Artikel überließ:

 

Phasenlehre und Berufspolitik

Dr. Peter Seidel, Hamburg

Marx oder Freud? Im persönlichen Mikro-Bereich erklärt Freud das Meiste; im gesellschaftlichen Makro-Bereich kommt man mit Marx weiter: - Wir unterscheiden drei Phasen der Libido-Entwicklung. Alle drei scheinen mir betroffen:

1. oraler Narzißmus - wie kommt man zu Geld?

Es geht um das Geld. Mit Psychotherapie kann man Geld verdienen. Dies betrifft nicht nur die Psychologen, die bisher außerhalb des sozialen Systems und der sozialen Kassen, der Futterkrippen der Ärzte, darbten, sondern genausogut die Ärzte, die mit geringsten Praxiskosten und leicht zu bewältigender Weiterbildung, als andererseits keinerlei Assistenzarztstellen mehr zu kriegen waren, in der Lage waren, sich die Zugangsberechtigung zu einem Wachstumsmarkt zu verschaffen. Ganz ohne Zweifel gibt es viele, die sich in diesen Markt hinein drängen, ohne die eigentlich notwendige Qualifikation zu haben, werden unter Etikettenschwindel unkontrolliert alternative Therapienformen betreiben. Viele der Psychotherapeuten, die jetzt teilnehmen wollen, sind "selbsternannt", haben zum Teil selbsternannte Institute, wo sich gegenseitig zum Schriftführer und Geschäftsführer und dergleichen gemacht haben. Dieser Zweifel an der Qualifikation betrifft aber leider Gottes selbstverständlich auch viele Ärzte, die sich mit der kleinen Zusatzbezeichnung "Psychotherapie" billig und ohne Facharzt-Ochsentour in das System gebracht haben. Es ist anzunehmen, daß die Auseinandersetzungen jetzt in dem Gutachterwesen weitergehen. Die Gutachter werden streng darauf schauen und auch zu Recht darauf schauen müssen, inwieweit die jetzt neu in das System geschleusten Therapeuten wirklich qualifiziert arbeiten oder nicht. Es ist anzunehmen, daß auch diese Punkte vor den Verwaltungs- und Sozialgerichten ausgetragen werden.

Der Streit geht ja eigentlich darum, ob der Gesetzgeber den Beruf des "Therapeuten" in seinen Einkommensmöglichkeiten an den eines Arztes, eines Facharztes mit sechs Jahren Medizinstudium und daran anschließend sechs Jahren Pflichtweiterbildung anschließen will, oder ob er ihn herabstufen will auf das Niveau eines Sozialarbeiters oder Physiotherapeuten oder Logopäden. Hand aufs Herz: wie viele der bisher zugelassenen und natürlich auch der neuen Psychotherapeuten weisen die breite Weiterbildung auf, die schon von Freud empfohlen und vorausgesetzt wurde: breite Allgemeinbildung in Literatur, Mythologie, Geschichte, Religion, klinisch - psychiatrische Erfahrungen, Kenntnisse im Familienrecht usw. usw.. Ich wage zu bezweifeln, daß man das bei allen vorfinden kann. Der Gesetzgeber wird auch das prüfen, inwieweit nämlich die Ausbildung in einem in Zukunft staatlich zugelassenen Institut der sechs plus sechs Jahre Weiterbildung eines Facharztes hinsichtlich der finanziellen Quotierung adäquat sein sollte. Ich befürchte hier Schlimmes.

Ich befürchte vor allen Dingen, daß über dem Geld die Inhalte verlorengehen, weil nun Bestrebungen da sind, den Ärzten einen in der Psychotherapie vor den nachdrängenden Psychologen geschützten Bereich zu finden. Ich rede hier von dem neu etablierten Facharzt für Psychotherapeutische Medizin. Hier sollen Gebührenziffern für eine "offene Sprechstunde" geschaffen werden, die eine ausreichende Honorierung kürzerer Gesprächstermine (die Rede ist von 20 min) ermöglichen sollen. Ich halte das für einen Rückschritt. Wir alle wissen aus unserer Erfahrung, daß die Sitzung zu 50 min sinnvoll ist. Bei 20 Minuten ist es kaum möglich, sich zu begrüßen und zu verabschieden sowie den nächsten Termin zu klären, der Therapeut, der glaubt, in 20 Minuten auf diese Weise sechs Klienten "verarzten" zu können, müßte eine übermenschliche Einfühlsamkein und Beziehungsfähigkeit haben. Es ist bereits heute mit den heute  üblichen geringfrequenten Therapien von einer oder zwei Wochenstunden kaum mehr möglich, mehr als 35 Sitzungen in der Woche sinnvoll zu arbeiten. Es gibt eine Obergrenze der Beziehungen, die wir als Therapeuten überhaupt eingehen können. Bei drei Patienten pro Stunde ist diese eindeutig überschritten; das wird auf Kosten der Qualität gehen. Ich befürchte auch hierher (Marx erklärt mehr als Freud), daß das Hauptinteresse dabei ist, diese neuen Ziffern für Ärzte zu sichern vor dem Ansturm der "Therapeuten" der Richtlinienpsychotherapie, unter denen die neu zugelassenen psychologischen Therapeuten zahlenmäßig bereits überwiegen. - Schon einmal hatten wir in der ersten Häfte 1999 die Situation, daß diejenigen Therapeuten, die viele Vorgespräche machten und wenig Therapien daraus, abrechnungstechnisch mit der Doppelabrechnung 860 + 871 bevorzugt waren. Gottseidank ist das nun ausgeschlossen worden; die Einzeltherapiesitzung muß finanziell attraktiv bleiben, das Vorgespräch darf nicht lohnender werden. Wer schützt hier das Interesse der Klienten, wer schützt die etablierte Richtlinienpsychotherapie mit der darin als Grundlage der Übertragung anerkannten kostbaren Zweierbeziehung?

2. analer Narzißmus - das Monopol auf dem Weiterbildungsmarkt

Der Gesichtspunkt der Macht. Der Psychomarkt ist zumindest in den städtischen Zentren durch eine Schrumpfung der Nachfrage gekennzeichnet; zusätzlich zu den niedergelassenen Therapetuen drängen sich die Instituts- und Klinikambulanzen hinein, außerdem kämpfen die so zahlreichen (Deutschland ist in der westlichen Welt mit Abstand führend ...!) Psycho-Kur-Kliniken um ihre Weiterexistenz. Am Besten hält sich auf dem Psycho - Markt derjenige, der im hochprofitablen und immer noch wachsenden Weiterbildungsgeschäft aktiv ist. Hier findet man noch am ehesten Analysanden, die bereit sind, 3 Stunden in der Woche zu kommen, am ehesten akademische intelligente Leute, die auch einiges über die geforderte Mindestanzahl  an nachzuweisender Weiterbildung hinaus an sich arbeiten möchten. Das Honorar ist inzwischen höher als bei den Kassen; Weiterbildung wird steuerlich abgesetzt. Ferner machte es durchaus mehr Spaß, die Therapien von sogenannten "schwer gestörten" Neurotikern (das heißt: Menschen aus der Normalbevölkerung mit normaler und Sozialversicherungsmentalität) zu supervidieren als diese selbst behandeln zu müssen. Der Arzt oder Psychologe, der Selbsterfahrung betreiben muß oder Supervision braucht, wird gerne mitten am Vormittag kommen, wo er auch selbst Mühe hat, die Klienten zu finden. Das Gesetz hat geregelt, daß die Institute jetzt staatlich approbiert sein müssen. Bisher waren diese Institute von der KBV zugelassen. Da diese ursprünglich regeln mußte, welche Weiterbildung die Psychologen (Delegation) für die Richtlinienpsychotherapie aufzuweisen hatten, schlug das dann auch sekundär in die von den Ärztekammern vorgeschriebenen Weiterbildungsinhalte der Ärzte durch. Mit dem Gesetz geht nun diese Macht auf den Staat über. Bisher hatten die Kollegen, die in den KBV-Instituten ihre Weiterbildung absolviert hatten, auch ein Monopol auf dem Weiterbildungsmarkt. Wie jedermann weiß, gab es eine Abstufung von Macht und Ehre der Mitglieder dieser Institute: diejenigen, die fachlich, wissenschaftlich oder auch machtpolitisch oben waren, waren im eigenen Bereich als Lehranalytiker zugelassen; diejenigen, die diese höchste Weihe nicht erhielten oder nicht anstrebten oder auch zu Recht nicht bekamen, konnten sich an der Ausbildung der Ärzte für die bei der Ärztekammer vergebene Zusatzbezeichnung gütlich tun. In Hamburg war es im Lauf der Jahre zu sehen, wie regelmäßig an diesem Punkt nun schon zweimal (das 3. Mal dürfte im Entstehen sein) "Rebellionen" sich ereignet haben, weil diese Ausbilder zweiter Kategorie sich zum Teil mit ihren Ausbildungskandidaten (für die Ärztekammer) solidarisierten, zum anderen aber auch ihren Status nicht länger herabstufen lassen wollten.

3. phallischer Narzißmus - der Streit der Schulmeinungen

Die Wirklichkeit der Richtlinienpsychotherapie ist längst eine andere geworden, als in dem Ausbildungskatalog der internationalen Institute verankert. Analysen, die "huckepack" auf die von den Krankenkassen finanzierte Zeit aufgesetzt werden, sind keine Analysen der Art, wie sie von Freud und Nachfolgern beschrieben worden. Eine Analyse, die, solange die Kasse zahlt, drei Stunden pro Woche erfordert, aber, wenn man dann anschließend noch eine kurze Zeit selbst weiter finanziert, nur noch ein bis zwei Sitzungen benötigt, ist fragwürdig. Die hauptsächliche in der Versorgungspraxis durchgeführte Therapieform, die "tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie" oder sogar die "Kurzzeit- Psychotherapie" wird an den Ausbildungsinstituten bisher nicht gelehrt. Diejenigen Mitglieder (siehe oben), die die Ärzte und mittlerweile auch Psychologen in dieser Therapieform ausbilden, haben dieselbe nie in wissenschaftlich fundierter Weise sich aneignen müssen. Es gab im Lauf der Jahre an den KBV - Instituten (skandalöserweise! - bei Licht besehen) nur ganz wenige Seminare, die sich mit dieser Therapieform, die sowieso als etwas Minderwertiges galt, auseinandergesetzt haben. Vor 10 Jahren noch waren es meiner Person im Zusammenwirken auch mit z.B. Herrn Ehebald in Hamburg gelungen, in die Weiterbildung zum Erwerb der ärztlichen Zusatzbezeichnung (Psychoanalyse) die Notwendigkeit der Durchführung einiger "tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapien" unterzubringen. Bei der vor einem Jahr erfolgten Revision dieser Weiterbildungsordnung wurde dieser Passus wieder herausgenommen. Das bedeutet, daß die jetzt als "Analytiker" weitergebildeten Ärzte und Psychologen keinerlei Praxis auf dem Gebiet der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie nachweisen müssen. Somit stellt sich die Frage, ob die dergestalt weitergebildeten Kollegen überhaupt in der Lage sind, die hauptsächlich durchgeführte Psychotherapieform verantwortlich als Supervisoren zu vermitteln. Auch hier gilt wohl leider: Marx erklärt mehr als Freud. Der Gesichtspunkt des Monopols auf dem Weiterbildungsmarkt dürfte diese Phänomene, die man allenthalben sieht, genauer erklären als der sicher gleichzeitig auch vorhandene Gesichtspunkt, eine möglichst qualifizierte Weiterbildung zu betreiben. Sowieso gilt nach wie vor, daß die Gesetzmäßigkeiten der durch die Krankenkassen finanzierten Richtlinienpsychotherapie in den bisher zugelassenen KBV-Instituten nicht wissenschaftlich untersucht worden sind. Die faktische Limitierung der Therapien, die Sozialversicherungsmentalität unserer Klienten, die Idealisierung des Arztberufes, all das blieb in seinen technischen Implikationen unerforscht. (Ich habe zu diesem Thema einen Vortrag gehalten, den jeder Interessierte, der mich anmailt, von mir elektronisch abfragen kann). Es ist zu erwarten, daß die jetzt zugelassenen psychologischen Therapeuten sich gleichfalls an die eigene Weiterbildung machen werden. Es werden die Institute aus dem Boden schießen. Man kann nur hoffen, daß der wissenschaftliche Inhalt der "tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie" auf diese Weise endlich untersucht werden wird. Genauso kann man vielleicht eine Hoffnung haben, daß die Mentalität der bisherigen Erstattungspsychologen frischen Wind in die Richtlinien-Psychotherapie bringen wird. Die bisherigen Erstattungspsychologen kennen die Situation des frei ausgehandelten Honorars. Sie dürften in der Lage sein, diesen gesamten Komplex der Grenzen einer fremdfinanzierten Psychotherapie im sozialen Versicherungswesen erneut zu problematisieren.

Der Inhalt bleibt auf der Strecke. Es ist fast nirgendwo untersucht worden, was in der Richtlinien-Psychotherapie wirklich vor sich geht. Zu rühmen ist, daß immerhin die DPG einige Untersuchungen dazu vorgelegt hat, während die DPV offiziell das, was die eigenen Mitlgieder in der Praxis tun, immer noch nicht zur Kenntnis nimmt. Darüberhinaus haben diejenigen Kollegen in der berufspolitischen Auseinandersetzung die größere Macht bzw. die besseren Karten, die in die übliche ärztliche Laufbahn eines Klinik- oder Institutsdirektors oder eines Wissenschaftlers an einer medizinischen Hochschule geraten sind. Sie kennen die Bedingungen, unter denen beim ambulanten niedergelassenen Therapeuten Therapie vonstatten geht, überhaupt nicht. Jemand, der in Klinik oder Institut arbeitet, wohin Patienten überwiesen werden, kann die Lage desjenigen, der seine Kundschaft auf dem freien Markt finden muß, ohne Klinikeinweisung, ohne Kur-Genehmigung, und mit der Notwendigkeit, eine Ausfallsregelung auszuhandeln, nicht ermessen, genausowenig die unter diesen Bedingungen stattfindenden Prozesse. Die wissenschaftlichen Grundlagen der psychotherapeutischen Tätigkeit wurden von solchen in Klinik in tätigen Kollegen aus deren Blickwinkel heraus vorangetrieben. Was in den jahrelangen realen Therapien vonstatten geht, blieb unerforscht. Kurzfristig meßbare Erfolge blieben Grundlage politischer Entscheidungen; dabei läßt sich Psychotherapie nicht in Zahlen und mit kurzfristig erhobenen Statistiken evaluieren.

4.der genitale-generative Gesichtspunkt: wer nimmt sich des Kindes Psychotherapie an?

Wo bleiben die Inhalte, wer kümmert sich um das Kind Psychotherapie?

Verfasser:
Dr. Peter Seidel
Lüneburger Straße 43
21073 Hamburg
psypse@aol.com


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