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Stellungnahme der DGPT

für die Anhörung im Ausschuss für Gesundheit

des Deutschen Bundestages am 05. Juli 2000

 

zum Gesetzentwurf der FDP zur Sicherung einer angemessenen Vergütung

psychotherapeutischer Leistungen im Rahmen der GKV

(Drucksache 14/3086).

 

Vorbemerkung:

Die 1949 gegründete DGPT ist der Berufsverband der Psychoanalytiker. Psychoanalytiker behandeln mit analytischer Psychotherapie und tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie, decken also zwei der drei Richtlinien-Verfahren ab. Die DGPT hat derzeit knapp 3000 Mitglieder, die im Grundberuf teils Ärzte, teils Psychologen sind.

Grundsätzliche Zustimmung

1.

Der Gesetzentwurf der FDP wird von der DGPT im Grundsatz begrüßt. Insbesondere ist der zutreffenden Analyse der existenzgefährdenden Honorarsituation für 1999 und 2000 (Teil A. der Entwurfsbegründung) nichts hinzuzufügen.

2.

Das Einschreiten des Gesetzgebers ist auch erforderlich. Ist die wirtschaftliche Existenz psychotherapeutischer Praxen nicht gesichert, hat dies zwangsläufig Auswirkungen auf den Bestand der Versorgung von GKV-Patienten mit Psychotherapie, um deren Qualität die Bundesrepublik europaweit zu recht beneidet wird. Wie die Vergangenheit lehrt, ist die Selbstverwaltung nicht willens – und angesichts unzureichender gesetzlicher Vorgaben wohl auch gar nicht in der Lage – die aufgetretenen Finanzierungsprobleme allein zu lösen.

3.

Nach der mittlerweile als gefestigt anzusehenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 20.01. und 25.08.1999 sowie vom 26.01.2000) haben Richtlinien-Psychotherapeuten aufgrund der spezifischen Besonderheiten ihrer Praxis (ihre Leistungen sind höchstpersönlicher Natur, zeitgebunden, genehmigungspflichtig und daher nicht beliebig vermehrbar) im Gegensatz zu anderen Fachgruppen von Verfassungs wegen (Art. 3 ,12 GG) Anspruch auf ein Sitzungshonorar, das ihnen zumindest die Chance eröffnet, ein den Einkünften vergleichbarer Arztgruppen entsprechendes Einkommen zu erzielen. Dies setzte nach den Feststellungen des BSG schon im Jahre 1993 selbst bei voller Auslastung der psychotherapeutischer Praxis ein Sitzungshonorar von 145 DM, also DM 0,10 pro Punkt, voraus.

4.

Schon die Ableitung der BSG-Rechtsprechung aus Verfassungsrecht zwingt den Gesetzgeber zu einer in Art. 1 des Gesetzentwurfs vorgesehenen rückwirkenden Aufstockung des – zeitlich vor dieser Rechtsprechung – in Art. 11 PsychThG festgelegten Psychotherapiebudgets für 1999. Weitere zwingende Gründe sind in der Entwurfsbegründung (Teil A.) aufgeführt; insbesondere läuft die in Art. 11 Abs. 2 PsychThG vorgesehene „Öffnungsklausel" wegen – angeblichen – Widerspruchs gegen die das Gesamtvergütungsbudget begrenzende Bestimmung des Art. 14 GKV-SolG leer.

Die unzureichende Ausstattung des Budgets führte in einigen Regionen zu geradezu absurden Ergebnissen. So erzielten Psychotherapeuten in Schleswig-Holstein im III. Quartal 1999 mit der Behandlung von Patienten der AOK, BKK, IKK und LKK für eine 50-minütige Sitzung bei Punktwerten von 0,01 bis 2,02 Pf. einen Umsatz (!) von 14,05 Pf. bis 29,90 DM. In Westfalen-Lippe gelangten im Quartal III/99 sogar Minus-Punktwerte „zur Auszahlung", die Psychotherapeuten mussten dort teilweise also sogar noch Geld mitbringen! Aber auch die bundesdurchschnittliche Betrachtung ergibt katastrophale Zahlen: Nach den Berechnungen des Fachausschusses „Psychotherapie" bei der KBV führt das für 1999 zur Verfügung stehende Psychotherapiebudget (etwas mehr als 1,2 Mrd. DM) bei knapp 16.000 „vollzeitäquivalenten" Therapeuten zu einem durchschnittlichen Jahresumsatz von DM 77.800. Nach Abzug der Praxiskosten und der Aufwendungen für Krankheitsvorsorge und Alterssicherung verbleibt dem durchschnittlichen Psychotherapeuten demnach nicht einmal genug, um seinen allgemeinen Lebensunterhalt zu finanzieren, zumal wenn er noch Familie hat. Folge: Er muss zurückgreifen auf Ersparnisse, Einkommen des Ehepartners, im besten Fall auf anderweitige Einkünfte, z.B. aus Lehr- bzw. wissenschaftlicher Tätigkeit usw. Zur Minimierung der Kosten degenerieren die Praxen teilweise zu „Wohnzimmer-Praxen", unter erzwungenem Verzicht auf professionelle Mindeststandards, insbesondere auf jegliches Personal. Dafür macht der Therapeut dann seine Quartalsabrechnungen und tippt seine Berichte an die Gutachter selbst. Nur über seine Steuerlast muss er sich keine Gedanken (mehr) machen.

Nach den Berechnungen des Fachausschusses muss das Psychotherapiebudget für 1999 um fast 2 Mrd. DM aufgestockt werden, wenn die Psychotherapeuten ein Einkommen erzielen sollen, wie es das BSG verfassungsrechtlich für geboten hält!

5.

Für das Jahr 2000 hat der Gesetzgeber im Zuge der Gesundheitsreform bereits versucht, den Anspruch der Psychotherapeuten auf angemessene Vergütung in Umsetzung der BSG-Rechtsprechung festzuschreiben (§ 85 Abs. 4 S. 4 SGB V), indem er die KVen zu entsprechender Anpassung ihrer Honorarverteilungsmaßstäbe verpflichtete. Dieser Gesetzesbefehl hat sich jedoch schon jetzt als zu unscharf und damit als unzureichend erwiesen. Denn der gem. § 85 Abs. 4 a S. 1 für die inhaltliche Ausfüllung der "angemessenen Vergütung" bundesweit zuständige Bewertungsausschuss bei der KBV rechnete den Mindestpunktwert in Fehlinterpretation der BSG-Rechtsprechung „zielgerichtet" herunter (Beschluss vom 16.02.2000). Die daraufhin in den KVen bereits beschlossenen HVMe führen demgemäß zu Honoraren, die weit unter der vom BSG schon für 1993 für verfassungswidrig niedrig gehaltenen Vergütung liegen (in Berlin z.B.: DM 82,50 pro Sitzung) und der Forderung des BSG nach Orientierung am durchschnittlichen Einkommen vergleichbarer Fachgruppen Hohn sprechen. Zu allem Überfluss ist – je nach Entwicklung der allgemeinen Punktwerte – vielfach auch noch eine Quotierung dieser viel zu niedrigen „Mindestpunktwerte" vorgesehen!

 

Dies alles zeigt eindringlich, dass die im Gesetzentwurf der FDP vorgesehenen Modifizierungen des § 85 SGB V unumgänglich und unaufschiebbar sind. Sie sind zur Behebung der eingetretenen Misere auch geeignet. Angesichts der durch die Budgetierung der Gesamtvergütung für die KVen geschaffenen Situation gibt es zur Verlagerung des Morbiditätsrisikos für die genehmigungspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen auf die Krankenkassen schließlich auch keine Alternative. Zwar hat der Gesetzgeber dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität grundsätzlich Vorrang gegenüber den anderen Vergütungskriterien eingeräumt (vgl. soeben BSG – B 6 KA 20/99 R – vom 10.05.2000); dieser findet jedoch dort seine Grenze, wo – wie hier – aus Verfassungsrecht abgeleitete Rechtspositionen tangiert werden.

Kritik in Einzelpunkten

1. Art. 1 und Art. 3 Nr. 6:

Sowohl für 1999 als auch für 2000 bezieht sich der Gesetzentwurf nur auf die ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzte, Psychologischen Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Die beabsichtigte Schutzwirkung erstreckt sich damit nicht auf die Ärzte anderer Fachgebiete, die aufgrund entsprechender Zusatzqualifikation auch psychotherapeutisch tätig sind. Dies betrifft insbesondere die Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie und die für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Die DGPT hält diese Ausgrenzung aus folgenden Gründen für gesundheitspolitisch bedenklich:

- Für eine Reihe von psychisch Kranken ist die Kombination psychiatrischer und psychotherapeutischer Angebote nicht nur gesundheitspolitisch sinnvoll, sondern geradezu unerlässlich.

- Dies gilt vor allem auch für den Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Gerade bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen ist die Integration somatischer, psycho-pharmakologischer und psycho-sozialer Konzepte unabdingbar.

- Die in den KVen bereits beschlossenen HVMe zeigen, dass die Psychotherapie-Punktwerte der nicht ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzte teilweise gegen Null tendieren. Die Erbringung psychotherapeutischer Leistungen erweist sich für diese Arztgruppen somit als extrem unwirtschaftlich und (menschlich verständlich) unsinnig.

- Ärztliche Psychotherapeuten drohen in einen Konflikt zu geraten: Sie gefährden nämlich durch an sich sinnvolle und gebotene außerpsychotherapeutische, insbesondere psychiatrische Leistungen ihren begünstigten Status als ausschließlich psychotherapeutisch Tätiger.

Insgesamt würden mit der vorgesehenen Begrenzung die strukturellen Veränderungen innerhalb der ambulanten psychiatrischen Versorgung, die seit der Psychiatrie-Enquête stattgefunden haben, und die Bemühungen der psychiatrischen Fachgesellschaften um eine Verbesserung des Psychotherapieangebots in den psychiatrischen Praxen konterkariert. Einer sachwidrigen Aufspaltung in organmedizinische Versorgung einerseits und psychotherapeutische Versorgung andererseits würde Vorschub geleistet, anstatt die notwendige Integration dieser Bereiche zu fördern.

Die DGPT empfiehlt deshalb dringend, die Stützungsregelung leistungsbezogen auszugestalten, d.h. auf die genehmigungspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen aller Fachgruppen zu erstrecken.

 

2.

Die vorgesehene Zuzahlungsregelung, die bereits Gegenstand des 9. SGB V-ÄndG vom 08.05.1998 war und aus guten Gründen noch vor Inkrafttreten durch

das GKV-SolG vom 19.12.1998 eliminiert wurde, wird von der DGPT nach wie vor abgelehnt. Der in der Entwurfsbegründung angeführte therapeutische Nutzen einer Zuzahlung des Patienten (Stärkung der Eigenverantwortung, Vermeidung von Therapieabbrüchen) ist empirisch nicht nachgewiesen; epidemiologische Untersuchungen zur Akzeptanz psychotherapeutischer Behandlung lassen eher auf das Gegenteil schließen. Und der finanzielle Nutzen ist unter Berücksichtigung einer Zuzahlungshöhe von DM 10 pro (nicht beliebig vermehrbarer) Sitzung, der Befreiungs- bzw. Überforderungsklauseln und des zu erwartenden Verwaltungsaufwandes ersichtlich marginal gegenüber dem Ausgabenvolumen. Jedenfalls steht der Nutzen einer Zuzahlung außerhalb jeden Verhältnisses zu den im folgenden skizzierten schwerwiegenden Nachteilen:

- Psychotherapie ist Krankenbehandlung und erfolgt in der GKV unter den Gesichtspunkten der Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit. Sie ist für bestimmte Krankheiten die Methode der Wahl zur Heilung, die nicht durch andere Behandlungen ersetzt werden kann. Insofern gibt es keinen sachlichen Grund, Psychotherapie anders zu behandeln, als andere Behandlungsmethoden in der GKV.

- Die Zuzahlung würde die erst seit der Psychiatrie-Enquête 1975 endlich erreichte Gleichbehandlung seelischer und körperlicher Krankheiten zunichte machen und damit eine der großen humanen Errungenschaften unseres Gesundheitswesens zerstören.

- Sie träfe, auch und gerade unter Berücksichtigung der Härteregelungen, die Patienten am härtesten, die aus dem Kreise der Arbeiter und Angestellten mit mittlerem Einkommen stammen, und die bereits jetzt die Hauptlast steigender Sozialabgaben und Selbstbeteiligungen zu tragen haben. Denn gerade bei diesen „finanziellen Leistungsträgern der GKV" greifen die Härtefallregelungen nicht oder erst spät.

- Sie würde gerade diejenigen Patienten demotivieren, die zwar dringend einer Behandlung bedürfen, dieser jedoch aufgrund von Ängsten oder Vorurteilen zwiespältig gegenüber stehen und an der seelischen Mitverursachung ihrer Erkrankung zweifeln. Das ist bei vielen Patienten mit psychosomatischen oder funktionellen Syndromen und selbst bei psychotischen Patienten der Fall. Die Abklärung etwaiger Befreiungstatbestände trüge ebenfalls zur Erhöhung der Zugangsschwelle bei. Aufgeschobene oder unterlassene psychotherapeutische Behandlung fördert jedoch Chronifizierung. Da die Kranken gleichwohl Beseitigung bzw. Linderung ihrer Symptome suchen und brauchen, werden zwar durch Abschreckung Kosten für die indizierte und sachgerechte Psychotherapie vermieden, dagegen handelt man sich jedoch höhere Folgekosten in anderen Bereichen des Gesundheitssystems (stationäre Aufenthalte, somatische und medikamentöse Behandlungen, Krankschreibungen etc.) ein.

- Eindeutig negativ, umfangmäßig aber noch völlig unabsehbar, würde

sich die Zuzahlung im Rahmen familiärer Strukturen, z.B. auf selbst nicht verdienende Ehegatten, auswirken. Unter den gesellschaftspolitischen Gegebenheiten ist Zuzahlung frauenfeindlich; die Versuchung bzw. Gelegenheit zum Missbrauch wirtschaftlicher Abhängigkeiten ist offensichtlich.

- Dies gilt in ganz besonderem Maße für die Altersgruppe der 18 – 21-jährigen. Seelische Erkrankungen (z.B. Magersucht) durch Ablösungskonflikte vom Elternhaus können nicht angemessen behandelt werden, da in der Regel ein ausreichendes eigenes Einkommen fehlt und eine Zuzahlung die Abhängigkeit von den Eltern festschreibt. Es entsteht ein therapieschädigender Interessenkonflikt.

Die DGPT empfiehlt daher dringend, von einer auf Psychotherapie beschränkten Zuzahlung abzusehen; als „Pilotprojekt" eignet sich gerade Psychotherapie aus den dargestellten Gründen am wenigsten!

Dipl.-Psych. Anne-Marie Schlösser
- Vorsitzende -

Holger Schildt
- Justitiar -

 


 

Stellungnahme der DGPT

für die Anhörung im Ausschuss für Gesundheit

des Deutschen Bundestages am 05. Juli 2000

zum Antrag der Fraktion der PDS zur Gewährleistung einer existenz-

sichernden Vergütung der psychotherapeutischen Versorgung

(Drucksache 14/2929).

1.

Die DGPT teilt die dem Antrag zu I. (Feststellung des Deutschen Bundestages) zugrundeliegende Einschätzung der existenzbedrohenden Honorarsituation für Psychotherapeuten in 1999 voll und ganz. Zur Untermauerung verweisen wir auf unsere ausführliche Stellungnahme zum Gesetzentwurf der FDP-Fraktion vom heutigen Tage. Wir begrüßen ausdrücklich, dass sich der Deutsche Bundestag und dessen Gesundheitsausschuss aufgrund des Antrages der PDS mit der Gefährdung der psychotherapeutischen Versorgung befassen.

2.

Wir sind allerdings der Meinung, dass die unter II. des Antrages formulierte Aufforderung an die Bundesregierung nicht ausreicht.

a) Zum einen bezieht sich der Antrag nur auf das Jahr 1999. Damit wird die (bereits eingetretene) Fortschreibung der untragbaren Honorarsituation für das Jahr 2000 (die Honorarbescheide für das I. Quartal 2000 stehen vor der Tür!) nicht verhindert.

b) Zum anderen haben wir nach den Erfahrungen der vergangenen Monate begründete Zweifel, dass eine Intervention der Bundesregierung bei den Vertragspartnern zu einer Aufstockung des Psychotherapiebudgets 1999 im erforderlichen Umfang führt. Die Rechtsauffassung des BMG, die die Kassenverbände in ihrer Verweigerungshaltung bestärkt, ist bekannt. Auch wenn Frau Bundesministerin Fischer erklärt hat, vertragliche Vereinbarungen oder Schiedsamtsentscheidungen auch dann aufsichtsrechtlich nicht in Frage stellen zu wollen, wenn sie mit der Rechtsauffassung des BMG nicht übereinstimmten, ist kaum zu erwarten, dass das Ministerium hier aktiv und im erforderlichen Umfang auf die Kassenverbände Einfluss nehmen wird.

Entsprechend unserer Stellungnahme zum Gesetzentwurf der FDP halten wir also ein Einschreiten des Gesetzgebers für erforderlich. Für den Fall, dass sich das Gesetzesvorhaben nicht verwirklichen lässt, unterstützen wir den Antrag der PDS jedoch ausdrücklich. Insoweit bitten wir jedoch, den Antrag

- dahingehend zu präzisieren, dass die Aufstockung des Budgets in dem Umfang erfolgt, wie er für eine angemessene, den anderen Fachgruppen entsprechende Vergütung der Psychotherapeuten notwendig ist,

- dahingehend zu erweitern, dass auch das Jahr 2000 mitumfasst wird.

Dipl.-Psych. Anne-Marie Schlösser
- Vorsitzende -

Holger Schildt
- Justitiar -


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