Aus dem Deutschen Ärzteblatt 19.5.2000 Nr. 20/bbpp-20.05.00
TOP VI: Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer
GOÄ-Reform:
In
der Sackgasse
Schwerpunkte bei den Debatten zu dem Tagesordnungspunkt „Tätigkeitsbericht“
waren die Reform der Amtlichen Gebührenordnung der Ärzte (GOÄ) und
krankenhauspolitische Spezialfragen. (Kopie für bbpp)
Der Vorsitzende des Ausschusses „Gebührenordnung“ der
Bundesärztekammer, Dr. med. Alfred Möhrle, Präsident der Landesärztekammer
Hessen, Frankfurt/Main, erläuterte seinen vom vorangegangenen Cottbusser
Ärztetag in Auftrag gegebenen „Sachstandsbericht zur GOÄ-Vertragslösung“.
Trotz der von der vorangegangenen Bundesregierung ausgegebenen Parole zur
Deregulierung, Entstaatlichung der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte und
einer bei der letzten GOÄ‑Novelle vom Bundesrat angeregten
Selbstverwaltungslösung zeichnet sich keine sachgerechte Lösung bei der
Weiterentwicklung der GOÄ ab. Außer zwei Spitzengesprächen und
Verhandlungen mit dem Gesundheitsministerium muss nach jetziger Erkenntnis die
Vertragslösung als politisch und rechtlich nicht realisierbar bezeichnet
werden. Der Grund: Von den Beteiligten, insbesondere vom
Bundesgesundheitsministerium, von den Bundesministerien für Wirtschaft sowie
für Justiz werden verfassungsrechtliche Bedenken bei einer Überführung der
GOÄ als Rechtsverordnung in eine Vertragslösung angemeldet. Neben
wettbewerbs- und kartellrechtlichen Einwendungen wurde vor allem die
Legitimation der Vertragspartner Bundesärztekammer. und PKV Verband
angezweifelt. Diese dürften keine Regelungen zulasten Dritter, nämlich der
Privatpatienten und Selbstzahler, treffen. Mithin könne der Verordnungsgeber
nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden. Die Bundesärztekammer hatte
zuvor unverzichtbare Essentials angemeldet: Die GOÄ müsse eine amtliche
Gebührentaxe bleiben; ein Schiedsverfahren müsse für den Konfliktfall
vereinbart werden, Direktverhandlungen seien nur zwischen Bundesärztekammer
und PKV Verband möglich. Vereinbarungen zwischen der PKV und einzelnen
Ärzten und Arztgruppen bleiben ausgeschlossen (Vermeidung eines
Einkaufsmodells). Das Leistungsverzeichnis solle rechtlich als Bestandteil der
GOÄ beibehalten werden. In einem ersten Schritt seien Sonderregelungen für
sozial sicherungsbedürftige Personenkreise vertraglich zu vereinbaren.
Allerdings müsse im Gegenzug mehr Vertragsfreiheit für die Vertragspartner
eingeräumt werden.
Möhrle berichtete: Alle Verhandlungen seien von der Gesundheitsreformdebatte
überlagert worden. Zudem haben die Sparaktionen der Beihilfekostenträger
(Bund/Länder), die rund 50 Prozent der GOÄ-Erstattungsleistungen zu
übernehmen haben, den politischen Druck erhöht und den Gesetzgeber auf Zeit
spielen lassen; jedenfalls sei die von der Bundesärztekammer angemahnte
Aktualisierung des Leistungsverzeichnisses zur GOÄ ebenso wie die
Möglichkeit der Analogbewertungen in weite Ferne gerückt worden.
Die beiden Reformoptionen - das Vorschlags- und das Mustervertragsmodell
-, die in den beiden Spitzengesprächen erörtert wurden, wurden von der
Bundesärztekammer eher als Rückschritt denn als eine Verbesserung bezeichnet
(und durch das Ärztetagsplenum abgelehnt).
Zum Vorschlagsmodell: Dieses sieht vor, dass die Bundesärztekammer, der PKV
Verband und die Beihilfestellen Reformvorschläge erarbeiten, insbesondere zum
Leistungsverzeichnis. Auch zum allgemeinen Teil der GOÄ (zum Paragraphenteil
also) könnten gemeinsame, konsentierte Vorschläge erarbeitet werden; eine
Konfliktregelung ist dabei vorzusehen. In einem nächsten Schritt wären diese
Vorschläge in ein Verordnungsverfahren ‑ wie bisher ‑einzubringen;
der Bundesrat gäbe mit seinem Letztentscheid den Ausschlag, ob die
Reform in Kraft tritt.
Muster-Vertragsmodell: Die Vertragspartner, Ärzte und
PKV Verband, aber auch eine andere zu beauftragende Institution,
erarbeiten nach den Direktiven des Bundesgesundheitsministeriums eine
gesonderte GOÄ, die in regelmäßigen Zeitabschnitten aktualisiert wird. Auf
diese Muster-GOÄ können sich dann Arzt und Privatpatient einigen. Falls dies
nicht gelingt, gilt die Amtliche GOÄ. Allerdings: Diese wäre dann so
umzugestalten, dass ein Abweichen von der Muster-GOÄ nachteilig für den Arzt
wäre.
Der Ärztetag sieht in der Muster-Vertragsmodelllösung eher Nachteile,
weil eine zusätzliche Verhandlungsebene eingezogen werden müsste, die kaum
imstande ist, die bisherigen Konflikte zu überwinden und die GOÄ dem
medizinischen Fortschritt und die Vergütung der aktuellen wirtschaftlichen
Situation anzupassen. Die Ärzteschaft wäre in eine Sisyphusarbeit
eingebunden, müsste dann alle Negativwirkungen einer GOÄ-Neuregelung in Kauf
nehmen, an der sie selbst mitgewirkt hatte.
Fazit: Besser sei es, mit dem derzeitigen Dilemma zu leben, als noch
riskantere Reformschritte widerstandslos hinzunehmen. Immerhin hat die
Bundesärztekammer umfangreiche Vorarbeiten geleistet: so die Überarbeitung
jener Kapitel, die seit der großen GOÄ-Reform von 1982 unverändert blieben
und vom medizinischen Fortschritt überholt wurden und auch im Hinblick auf
die vertragsärztliche Gebührenordnung EBM ins Hintertreffen gerieten.
Auch die Delegierten engagierten sich in der GOÄ‑Diskussion. So hieß
es: Das Missverhältnis zwischen technischen und personalen ärztlichen
Leistungen müsse beseitigt werden (wiewohl die vorangegangene GOÄ-Reform die
Beratungsleistungen erheblich - um rund 40 Prozent - verbessert hat, so der
Hinweis von Dr. Möhrle). Gesprächsleistungen müssen dort angesetzt und
angemessen honoriert werden, wo sie anfallen. Es sei ein Skandal, dass die
öffentlichen Arbeitgeber den Beihilfeberechtigten (den Beamten und
Angestellten im öffentlichen Dienst) einen komfortablen Privatpatientenstatus
versprechen, dann aber, wenn es ans Zahlen gehe, diese Versprechungen nicht
eingehalten werden (so Dr. med. Rainer M. Holzborn, Dinslaken).
Der Ärztetag beschloss einstimmig, den Verordnungsgeber aufzufordern,
zehn Jahre nach der Wiedervereinigung die Vergütungsunterschiede zu
beseitigen und den immer noch geltenden Ost-Abschlag abzuschaffen. Zudem sei
dieser sachfremd und rechtswidrig.
Der Ärztetag beschloss außerdem, das Liquidationsrecht
im Krankenhaus beizubehalten. Allerdings müsse die Berechtigung zur
Privatliquidation jenen Fachärzten übertragen werden, die die Leistungen
tatsächlich erbringen. Ärztliche und akademische Mitarbeiter ohne
Liquidationsberechtigung müssten über einen Pool an den Honoraren teilhaben.
Das Liquidationsrecht dürfe nicht an den Klinikarbeitgeber als Institution
übertragen werden.
Bei der Umstellung auf ein flächendeckendes Fallpauschalsystem zur
Abrechnung der muss Krankenhausleistungen (Diagnosis Related Groups) erhebt
der Ärztetag drei Forderungen:
Die Krankenhausleistungen und die Bewertungsrelationen müssen
leistungsgerecht und betriebswirtschaftlich kalkuliert werden.
Die Budgetierung im Krankenhaussektor dürfe nicht als
Budgetverteilungsinstrument missbraucht werden.
In ausreichendem Maße müssten auch individuelle Leistungskomponenten
und strukturelle Besonderheiten berücksichtigt werden.
Die Krankenhäuser werden aufgefordert, das seit 1. Januar 1996 auch für das
Klinikpersonal geltende Arbeitszeitgesetz strikt einzuhalten. Verstöße
müssten rigoros geahndet werden. Teilzeitmodelle mit flexiblen
Einsatzmöglichkeiten müssten erprobt werden. Diese seien bei gutem Willen
umsetzbar, ohne die Arbeitseffizienz zu belasten. Durch Teilzeitmodelle sei es
möglich, dass Berufswiedereinsteiger, Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung,
Berufsanfänger oder Ärzte mit Familienversorgungspflichten ihrem Beruf im
Krankenhaus nachgehen können.
Die Krankenhäuser werden aufgefordert, im vorgesehenen Umfang
Weiterbildungsstellen für angehende Allgemeinärzte zur Verfügung zu
stellen. Heute würden lediglich 50 Prozent der förderfähigen Arbeitsplätze
für die Weiterbildung in Allgemeinmedizin vorgehalten und Gelder aus dem „Förderungsprogramm
Allgemeinmedizin" investiert. Die Klinikträger werden dazu aufgefordert,
Rotationsstellen speziell für die Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin
einzurichten. Die Reform des klinikärztlichen Dienstes auf der Basis
früherer Ärztetagsbeschlüsse wird erneut angemahnt. Künftig sollten
Vertrauenspersonen („Ombudsmann") der Ärztekammern darüber wachen,
dass die Arbeitskraft junger Krankenhausärztinnen und -ärzte, insbesondere
der Weiterbildungsassistenten, nicht missbraucht wird.
(Kopie für bbpp)(Kopie für bbpp)
Dr. rer. pol. Harald Clade