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Inhalt:

  1. Artikel aus der Frankfurter Rundschau

  2. Kommentar der Berliner Blätter für Psychoanalyse und Psychotherapie


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Deprimierte Therapeuten

Im Blickpunkt: Berufsverbände sehen bundesweite Versorgung gefährdet

Von Andreas Schwarzkopf (Frankfurt/M.)

Die Therapeuten-Berufsverbände schlagen Alarm. Die Krankenkassen ließen zu wenig Seelendoktoren zu, sagen sie. Das gefährde die psychotherapeutische Versorgung und ruiniere bis zu 3000 Existenzen. Weitere Praxen müssten schließen, falls das Budget nicht aufgestockt werde. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sehen das anders.

Mit dem seit 1. Januar gültigen Psychotherapeutengesetz sollte sich vieles ändern und alles besser werden. Das Berufsbild des Psychotherapeuten ist seitdem definiert und geschützt. Patienten und Krankenkassen wissen nun, dass Psychotherapie auch drin ist, wo es drauf steht. Demzufolge erhalten in der Erwachsenentherapie seit Jahresbeginn nur Mediziner und Diplom-Psychologen mit Zusatzausbildung eine Approbation und eine Kassenzulassung. Diese berechtigt sie, ihre Leistungen direkt mit den Krankenkassen abzurechnen. Unmut ruft die Übergangsregelung hervor. Die KBV empfiehlt nur jene Therapeuten zuzulassen, die zwischen Juni 1994 und Juni 1997 innerhalb von zwölf Monaten mindestens 250 Stunden lang Patienten behandelt haben.

Diese Regelung ist nach Ansicht des Bundesgeschäftsführers des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP), Gerd Pulverich, zu rigide. Sie führe geradewegs in die "Katastrophe". Es würden zu wenig Seelendoktoren zugelassen, etwa 3000 stünden vor dem Ruin. Gegen die Entscheidungen der Zulassungsstellen hätten etwa 1200 BDP-Mitglieder geklagt.

Der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Berufsgruppenübergreifende Psychotherapie (AGBP), Ulrich Sollmann, sieht wegen der Spruchpraxis die bundesweite psychotherapeutische Versorgung gefährdet. Bereits Ende vergangenen Jahres habe nur etwa jeder Dritte Rat Suchende Hilfe finden können. Das werde noch schlimmer, sagt Sollmann. Nach der Hürde Zulassung warte mit dem "zu geringen Budget" ein weiteres Problem.

Die Höhe des Etats ist noch offen, beträgt aber nach Rechnung von Sollmann etwa eine Milliarde Mark. Die zugelassenen rund 15 000 Therapeuten verdienten demnach jeweils durchschnittlich rund 66 000 Mark im Jahr. Nach Abzug von Kranken- und Rentenversicherung sowie der Investition in die Praxis von bis zu 70 000 Mark sei das zu wenig, um zu überleben, sagt Sollmann. Damit Praxen nicht schließen müssen, müsse das Budget verdoppelt werden, fordert der Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten.

Das Zahlen-Trommelfeuer der Verbände "verärgert" den KBV-Referatsleiter Psychotherapie, Andreas Dahm. Die Daten seien falsch, die Sorgen unbegründet. Die derzeit 15 000 Zugelassenen entsprächen der Zahl, die Experten und die Berufsverbände auf Basis des Bedarfs der Jahre 1997 und 1998 prognostizierten. Dahm räumt allerdings ein, dass das Budget zu gering bemessen sei. Doch werde wohl nachgebessert. Entweder werde aus anderen Bereichen der Medizin Geld umgeschichtet oder die Berechnung den Anforderungen angepasst. Dahm hält einen Etat von 1,6 Milliarden Mark für denkbar, dann würde ein Therapeut im Schnitt jährlich etwa 106 000 Mark verdienen.

Beim Thema therapeutischer Versorgung wird BMG-Sprecherin Erika Behnsen unwirsch. Die Zahlen der AGBP über den Bedarf seien veraltet und überzogen. "Danach hätten Sie und ich längst eine Therapie in Anspruch nehmen müssen." Sollte es tatsächlich in bestimmten Regionen zu wenig Therapeuten geben, würden im Herbst weitere Therapeuten "bedarfsabhängig" zugelassen. Zugleich könnten aus "überversorgten" Gebieten Therapeuten umsiedeln. "Wir mussten schließlich mit der Bundesregierung auch umziehen."

[ dokument info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 1999
Dokument erstellt am 11.08.1999 um 20.45 Uhr
Erscheinungsdatum 12.08.1999


Kommentar der Berliner Blätter für Psychoanalyse und Psychotherapie

Sollte die "unwirsche" Bemerkung, wie sie von der Frankfurter Rundschau wiedergegeben wurde, tatsächlich von der Regierungsdirektorin aus dem BMG, Frau Erika Behnsen, so geäußert worden sein, dann wäre der Vergleich mit dem Berlinumzug der Bundesregierung doch recht makaber. Aber vielleicht kann sich eine Beamtin im höheren Staatsdienst gar nicht mehr vorstellen, daß eine Praxisgründung in unterversorgten Gebieten ohne die Vergünstigungen auskommen muß, die ein Beamter bei einem Umzug erfährt. Sein Gehalt wird weiterbezahlt, sein Büro ist bereits eingerichtet, von Freiflügen und Umzugskostenerstattungen ganz abgesehen. Sicher, ein freier Beruf birgt seine Risiken. Aber kann von einem freien Beruf überhaupt noch die Rede sein, wenn die Verdienstmöglichkeiten im Rahmen der gesetzlichen Krankenversorgung überhaupt nicht mehr kalkulierbar sind und das Thema Honorargerechtigkeit unter den Fachgruppen der KVen eigentlich nur noch Schamröte erzeugen müßte.

Das Psychotherapeutengesetz wäre kurz vor seiner Verabschiedung im Bundestag am Einspruch bestimmter Ärztekreise fast gescheitert. Lediglich die Angst der KV-Funktionäre vor dem Verlust des Sicherstellungsauftrages, falls der Gesetzgeber den Psychologischen Psychotherapeuten eigene Abrechnungswege mit den gesetzlichen Krankenkassen zugebilligt hätte, erzwang das sogenannte Integrationsmodell. Und nun sieht es so aus, als überließe die Bundesregierung und ihr Gesundheitsministerium die Auslegung des Psychotherapeutengesetzes in seinem sozialrechtlichen Teil den Kassenärztlichen Vereinigungen, die sich mit dem sogenannten "Schirmer" - Papier über grundgesetzliche Prinzipien hinwegsetzen. Es wird ein "Zeitfenster" konstruiert, aus dem man die ungeliebten Psychologischen Psychotherapeuten, die es zu "integrieren" galt, wieder hinauswerfen kann.

Zum Thema "Zeitfenster"

Wo krieg´ ich nur die Mäuse her ? (Zum Thema Finanzierung der Psychotherapie)

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