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07.06.2000 Leserzuschrift

06. März 2000

Datum: Dienstag, 29. Februar 2000 17:01

Wolfgang Senf von der Rheinischen Landes- und Hochschulklinik in Essen forderte Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) auf, das erst vor einem Jahr in Kraft getretene Psychotherapeutengesetz zu novellieren und vor allem die Finanzierung der Psychotherapie zu verbessern. Prof. Dr.med. Senf hatte die Mitarbeit im wissenschaftlichen Beirat zur Begutachtung von Psychotherapieverfahren niedergelegt. Er hatte kritisiert, dass der Beirat Machtpolitik betreibe, indem er die Zulassung weiterer Psychotherapierichtung von der Abrechnung mit Kassen ablehne. So berichtete dpa am 29.2.2000. Prof. Senf hat sich von dieser dpa-Meldung gegenüber den Berliner Blättern inzwischen distanziert, ohne sie bisher ausdrücklich zu dementieren. 


Die Berliner Blätter für Psychoanalyse und Psychotherapie hatten dazu bereits vor Monaten folgenden Kommentar veröffentlicht:

Versteht sich der Wissenschaftliche Beirat als "Hoher Rat" ?

Die am 11.1.1999 einstimmig verabschiedete Geschäftsordnung für den Wissenschaftlichen Beirat "Psychotherapie" wurde jetzt im Deutschen Ärzteblatt (Heft 11 vom 19.3.99, Seite A-721) einschließlich sogenannter Verfahrensgrundsätze veröffentlicht.

Der Leser staunt, wie schnell sich ein Beirat Kompetenzen herbeizieht, an die der Gesetzgeber wohl kaum gedacht hat. Das Psychotherapeutengesetz sieht in § 11 vor, daß die zuständigen Landesbehörden in Zweifelsfällen ihre Entscheidung auf der Grundlage eines Gutachtens eines wissenschaftlichen Beirats treffen, soweit nach diesem Gesetz die wissenschaftliche Anerkennung eines Verfahrens Voraussetzung für die Entscheidung der zuständigen Behörde ist. Diese vom Gesetz allein vorgesehene Aufgabe erweitert die Geschäftsordnung in beachtlichem Umfang. Geschickt formuliert der § 1 dieser Geschäftsordnung, daß der Beirat diese vom berufsrechtlichen Teil des PTGs vorgegebene Aufgabe "insbesondere" erfüllen soll.

Die still und leise selbst angeeignete Kompetenzerweiterung folgt deshalb sogleich. Denn, so heißt es weiter, dem Wissenschaftlichen Beirat käme damit auch eine entscheidende Funktion in der Qualitätssicherung der psychotherapeutischen Versorgung zu. Mit einer entscheidenden Funktion will man ja wohl Entscheidungen herbeiführen. Der Wissenschaftliche Beirat kündet damit seine konkurrierende Kompetenz gegenüber dem sozialrechtlichen Bundesausschuß und den KVen an. Ging es dem Gesetzgeber lediglich um Hilfestellung bei der staatlich-behördlichen Anerkennung psychotherapeutischer Verfahren in der Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, will der Wissenschaftliche Beirat nun auch die Voraussetzungen von Psychotherapeuten zur qualifizierten Anwendung psychotherapeutischer Verfahren und die berufliche Ausübung und fachliche Anwendung von Psychotherapie beurteilen (§ 1,4-7).  Aus dem Beirat wird still und leise ein Hoher Rat, der über Psychotherapie und Psychotherapeuten befinden will.

Mit diesem großartigen und fundamentalen Programm können die staatlichen Behörden kaum mit einer schnellen Hilfe rechnen, um bei der Methodenvielfalt in der Psychotherapie Entscheidungen treffen zu können. Diese sind aber jetzt gefordert, wenn langjährig praktizierte Psychotherapieverfahren in die Ausbildungscurricula aufgenommen werden sollen. Die deutsche Gründlichkeit wird sich wieder einmal am Fundamentalen verzehren.

Die Berliner Blätter erinnerten schon im Juli des vergangenen Jahres daran, daß im Streit um die wissenschaftliche Anerkennung von Psychotherapieverfahren möglicherweise eine grundgesetzliche Klärung notwendig wird:

"Artikel 5 (3) des Grundgesetzes bestimmt: "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung".

Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Artikel (Entscheidung 47,327/367) dahingehend interpretiert: Die Wissenschaftsfreiheit schützt "die auf wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit beruhenden Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen beim Auffinden von Erkenntnissen, ihrer Deutung und Weitergabe". Forschung ist der "nach Inhalt und Form... ernsthafte und planmäßige Versuch zur Ermittlung der Wahrheit". Auch die Gründung privater Forschungseinrichtungen fällt in den Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit. Ebenso fällt die Lehre unter diesen Schutzbereich. Sie muß selbständig und frei von Weisungen durchgeführt werden.

Die Wissenschaftsfreiheit steht jedem zu, der eigenverantwortlich in wissenschaftlicher Weise tätig ist oder tätig werden will, also nicht nur Hochschullehrern. Darüber hinaus kommt die Wissenschaftsfreiheit auch juristischen Personen zugute, die Wissenschaft betreiben und organisieren. Private Einrichtungen können sich, auch im Hinblick auf die Gründung, auf die Wissenschaftsfreiheit berufen, sofern sie als wissenschaftlich eingestuft werden können, insbesondere den beschäftigten Wissenschaftlern einen ausreichenden Spielraum einräumen.

Die Wissenschaftsfreiheit gewährleistet aber vor allem "ein Recht auf Abwehr jeder staatlichen Einwirkung auf den Prozeß der Gewinnung und Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse."

Im Bereich des Gesundheitswesens mußte Artikel 5 des Grundgesetzes bisher u.a. bei der wissenschaftlichen Anerkennung der Homöopathie greifen. Manche meinten, als wissenschaftlich sei nur anzuerkennen, was der herrschenden, naturwissenschaftlich geprägten Lehrmeinung entspricht. Das war jedoch nicht haltbar, wie z.B. die ÄrzteZeitung vom 22.7.98 berichtet, "denn Artikel 5 des Grundgesetzes garantiere wissenschaftlichen Pluralismus und damit auch den Bestand von der herrschenden Sicht der Dinge abweichender Therapierichtungen."   - Berliner Blätter vom 22.7.98 -

Auch das 2. NOG fordert, daß die Anerkennung neuer Behandlungsmethoden nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse "in der jeweiligen Therapierichtung" zu erfolgen hat.

Denn der Bundestag hat mit dem zweiten Neuordnungsgesetz (2. NOG) einen möglicherweise weitreichenden Zusatz eingeführt. Danach sind neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden Teil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Einzige Voraussetzung: Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen muß eine Empfehlung über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens einer neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit abgeben. Dazu richtet er sich nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse "in der jeweiligen Therapierichtung".

Die Berliner Blätter für Psychoanalyse und Psychotherapie verkennen die sozialrechtlichen Probleme nicht.

So kommentierte z.B.  Dr. Hermann Schulte-Sasse, Leiter des Stabsbereiches Medizin im AOK-Bundesverband diese Neuregelung.:

"Die damit gesetzlich vorgegebene Arbeitsgrundlage des Bundesausschusses sei eine wesentliche Änderung gegenüber der bisherigen Formulierung und drohe in Zukunft eine Steuerung der Behandlungsmethoden unter qualitativen Aspekten beträchtlich zu erschweren; statt einer allgemein gültigen Grundlage solle künftig der "Binnenkonsens" der jeweiligen Therapierichtungen Basis der Entscheidung des Bundesausschusses sein. Dem Zusatz liege der weitverbreitete Irrtum zugrunde, daß sich der therapeutische Nutzen einer Behandlung nur auf eine für die jeweilige medizinischen Schule typische Weise ermitteln ließe.  Zur Bewertung des therapeutischen Nutzens einer Behandlung sei aber nicht das Erklärungsmodell einer "Schule" (naturwissenschaftlich, homöopathisch, anthroposophisch etc.) von Interesse, sondern die Frage, ob eine bestimmte Behandlung auf eine bestimmte Erkrankung mit größerer Wahrscheinlichkeit einen günstigen Einfluß ausübt als eine Nichtbehandlung. "Zur Klärung des zu erwartenden Nutzens und der Risiken einer Behandlung werden nicht naturwissenschaftliche Theorien zugrundegelegt, sondern der Sozialwissenschaft entlehnte Verfahren der Statistik und Epidemiologie". Dies entspreche dem Prinzip einer Erfahrungsmedizin, die nach transparenten Regeln arbeitet. Dem habe auch die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes entsprochen. Mit dem nun beschlossenen Zusatz werde diese "vernünftige, von Glaubenssätzen unabhängige Praxis" gefährdet."

Der Wissenschaftliche Beirat sollte deshalb aus seinem Aufgabenkatalog die sozialrechtlichen Implikationen ausklammern, um die ihm vom Psychotherapeutengesetz zugewiesene Hilfestellung gegenüber den staatlichen Behörden wesentlich unter den berufsrechtlichen Aspekten der Wissenschaftsfreiheit ohne groben Verzug erfüllen zu können.


Wir veröffentlichen in diesem Zusammenhang noch einmal den am 22.9.1998 in der SZ erschienen Artikel von ULFRIED GEUTER :

 

Wissenschaftlicher Umgang mit der Seele

Das neue Psychotherapeutengesetz
erzwingt die Bewertung von Heilmethoden nach fragwürdigen Kriterien

Am 1. Januar 1999 tritt das neue Psychotherapeutengesetz in Kraft. Danach bedürfen Psychologen, die als Psychotherapeuten tätig sein wollen, wie Ärzte einer staatlichen Approbation. Ihnen gleichberechtigt werden sie in die Kassenversorgung einbezogen. Weiterhin umstritten ist die Frage, welche Methoden künftig angewendet werden dürfen.

Der Gesetzgeber hat nämlich eine in der Heilkunde bislang einmalige Festlegung getroffen. Psychotherapeutische Berufstätigkeit wurde definiert als Anwendung „wissenschaftlich anerkannter psychotherapeutischer Verfahren“ (Paragraph 1,3). Damit ist Psychotherapie kein einheitliches Gebiet mit verschiedenen wissenschaftlichen Grundlagen und Methoden, sondern wird juristisch in einzelne Verfahren aufgeteilt. Nur wenn ein Psychologe – das Gesetz gilt nicht für Ärzte – Verfahren anwendet, welche die Gesundheitsbehörden als „wissenschaftlich“ akzeptieren, darf er demnach den Beruf des Psychotherapeuten ausüben.

Eine entsprechende juristische Konstruktion gibt es in keinem anderen Bereich der Heilkunde. Ärzte entscheiden eigenverantwortlich über Behandlungen und dürfen dabei auf ihr klinisches Erfahrungswissen zurückgreifen. Die Weiterbildungsordnung der Fachärzte für psychotherapeutische Medizin legt nicht fest, wie der Arzt zu behandeln hat.

In vollem Gange ist der Streit bereits darüber, wer von den heute tätigen psychologischen Psychotherapeuten im Zuge einer Übergangsregelung die Approbation erhalten soll. Die Verbände der etablierten Verhaltenstherapeuten und Psychoanalytiker f ordern, daß niemand außer ihnen eine Berufszulassung erhält. Familien-, Gestalt-, Gesprächs- oder Körperpsychotherapeuten bangen um ihre Existenz. Die Behörden müssen bis zum Jahresende festlegen, welche Richtungen sie als „wissenschaftlich anerkannt“ werten und welche nicht. Ein wissenschaftlicher Beirat soll ihnen dazu Empfehlungen geben.

Kunst und Körper

Die Krankenkassen erkennen bisher offiziell nur Psychoanalyse und Verhaltenstherapie an. Auf dem Weg von Kostenerstattungen bezahlen sie aber seit vielen Jahren auch Behandlungen mit anderen Methoden, insbesondere Gesprächpsychotherapie. In psychosomatischen und psychiatrischen Kliniken sind zudem körperbezogene und künstlerische Therapien sehr verbreitet.

Im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums hatte 1991 eine Kommission ein Gutachten vorgelegt, in dem der Berner Psychologieprofessor Klaus Grawe den Wert der Methoden beurteilte. Sein Fazit: Psychoanalyse nach Alfred Adler („Individualpsychologie“), Carl Gustav Jung („Analytische Psychologie“) oder Viktor Frankl („Existenzanalyse“), Katathymes Bilderleben, Bioenergetik, Tanz-, Kunst- und Musiktherapie hätten ihre Wirksamkeit nicht nachgewiesen. Ein Jahr später forderte er, diese Ansätze in einem kommenden Gesetz „bis auf weiteres aus der Versorgung und Ausbildung auszuschließen.“ Die Verhaltenstherapie dagegen müsse eine „prominente Rolle“ spielen. Seitdem kam die Fachwelt nicht zur Ruhe. Durch das Gesetz ist sie nun erneut herausgefordert.

Auf Einladung der „Arbeitsgemeinschaft Psychotherapie“ diskutierten kürzlich bei einem Symposium in Köln Experten über die Kriterien für „Wissenschaftlichkeit“. Zwei Positionen standen sich gegenüber. Die eine Gruppe vertritt den Standpunkt von Grawe: Das Hauptkriterium sei der Nachweis der Wirksamkeit eines Verfahrens. Dabei akzeptiert Grawe nur Nachweise nach Art der Pharmaforschung: Eine Methode muß sich in einer kontrollierten Studie im Vergleich mit unbehandelten Patienten oder einer Placebo-Therapie als wirksam erweisen.

Kurt Hahlweg, Psychologieprofessor in Braunschweig, will die scharfen Kriterien der Amerikanischen Psychologenvereinigung zu „empirisch validierten Therapien“ heranziehen. Diese verlangen neben den Kontrollgruppen-Studien ein therapeutisches Vorgehen auf Grundlage von Behandlungsanweisungen. In einer Liste der so „gesicherten Therapieformen“, finden sich sechzehn einzelne Methoden der Verhaltenstherapie und zwei andere, keine aus der Psychoanalyse oder der Humanistischen Psychotherapie, wozu Gesprächstherapie, Gestalttherapie und Körperpsychotherapie zählen.

Kritiker dieses Standpunktes bemängeln, daß die Kontrollgruppenforschung eine therapeutische Kunstwelt repräsentiere: Besonders ausgewählte Patienten mit eingegrenzten Störungen werden meist in Forschungsprojekten an Universitäten behandelt. Die durchschnittliche Zahl der Therapiesitzungen in den Studien, die Grawe berücksichtigte, betrug zum Beispiel elf für Verhaltenstherapien, 16 für Humanistische Verfahren und 28 für Psychoanalysen; Werte, die mit der Behandlungsrealität nichts zu tun haben. Denn die Behandlung komplexer psychischer Störungen in der ambulanten Praxis dauert normalerweise etwa fünfmal so lange. Untersuchungen zur Alltagapraxis aber schloß Grawe bei seinen Recherchen aus, wie Markus Fäh und Gottfried Fischer kritisieren (Sinn und Unsinn in der Psychotherapieforschung, Gießen, 1998).

Eine entsprechende Studie des Consumer Reports, einer renommierten US-Zeitschrift, die Konsumenten über ihre Zufriedenheit mit Produkten oder Dienstleistungen befragt, präsentierte der amerikanische Psychotherapieforscher Martin Seligman schon 1995 im American Psychologist. Resümee: Langzeitbehandlungen brachten mehr Verbesserungen als Kurzzeittherapien und „keine Therapiemethode brachte bei irgendeiner Störung bessere Ergebnisse als andere“. Seligman, früher ein Anhänger der Kontrollgruppenforschung, schlußfolgerte, daß eine solche realistische Studie weit hilfreicher sei, um den Wert von Psychotherapie zu beurteilen.

Auffallenderweise fehle unter den Kriterien der Amerikanischen Psychologenvereinigung der klinische Nutzen einer Methode, bemängelte in Köln der Jenaer Forscher Bernhard Strauß. Er plädiert dafür, als weiteres Kriterium für die Beurteilung von Psychotherapie-Verfahren heranzuziehen, ob sie sich in der klinischen und ambulanten Versorgung bewährt haben. Dann nämlich, so Strauß, müßten neben Verhaltenstherapie und Psychoanalyse auch Gesprächspsychotherapie, Gestalttherapie, Transaktionsanalyse und körperorientierte Psychotherapie als wissenschaftlich anerkannt gelten. Alle diese Methoden gehören auch zum psychotherapeutischen Fortbildungsprogramm der Ärzte.

Einfluß von Prozeßfaktoren

In einer Zusammenschau der bisherigen Ergebnisse von Psychotherapie-Forschung verweist Strauß zudem auf sogenannte Prozeßfaktoren, die für den Erfolg einer Behandlung weit wichtiger sind als die Methoden: Ob Therapeut und Patient zusammenpassen und sich engagieren, ob sich ein Patient für eine bestimmte Therapieform eignet, wie geschickt und wie glaubwürdig der Therapeut ist und wie offen der Patient (Praxis der Psychotherapie, Stuttgart, 1996). Von allen Faktoren der ausschlaggebende, da sind sich die Forscher einig, ist die Qualität der therapeutischen Beziehung.

Viele Psychotherapie-Forscher halten daher die Prozeßforschung für weit wichtiger als die Effizienzforschung, Unter dem Druck des Gesetzes aber wird vor allem daran gearbeitet, nachzuweisen, daß einzelne Verfahren trotz Grawes Verdikts effizient sind. Bioenergetiker belegten letztes Jahr die Erfolge ihrer Behandlungen (Psychotherapie Forum, Nr. 5). Jungianische Psychoanalytiker zeigten, daß sechs Jahre nach Ende einer CouchTherapie die meisten Patienten ihre Beschwerden als behoben oder gebessert ansahen (Psychoanalysen im Rückblick, Gießen, S. 441,1997). Offen geben die Autoren zu, daß sie dieses Ergebnis berufspolitisch für bedeutsam halten.

Im Streit um die Psychotherapie wird nämlich heute von allen Seiten Wissenschaft zur Durchsetzung berufspolitischer Interessen verwendet. Der Begriff der Psychotherapie selbst ist davon nicht ausgenommen. Der Salzburger Psychologieprofessor und Verhaltenstherapeut Urs Baumann beispielsweise definiert Psychotherapie als eine Anwendung der „wissenschaftlichen Psychologie“.

Nach diesem Verständnis wäre Psychotherapie die Technologie einer Wissenschaft, kritisiert der Berliner Psychotherapeut Eberhard Schneider. Es würde Psychologieprofessoren erlauben, zu bestimmen, wie behandelt werden muß. Der Gesetzgeber hat sich, bemängeln Psychotherapeuten, mit seiner Formel von der Psychotherapie als Anwendung wissenschaftlich anerkannter Verfahren dem Modell der Wissenschaftstechnologie angenähert – auf Kosten des alten medizinischen Begriffs von Krankenbehandlung als Heilkunde .

ULFRIED GEUTER

Der Autor lebt in Berlin und arbeitet als Psychotherapeut und Journalist.
SZonNet: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutscher Verlag GmbH, München


Leserzuschriften:

Von: Antje Doll  

Datum: Montag, 5. Juni 2000 15:00

Betreff:  System. Familientherapie  

Liebe HerausgeberInnen und lieber Autor, mit Interesse habe ich Ihre Mitteilungen noch einmal nachgelesen. Es erübrigt sich ja von selbst, daß das Ergebnis des wiss. Beirates ein anachronistisches, das derzeitige System stabilisierendes, ideologisch verfärbtes Unding ist. Qualifiziertere Urteile würden Zeit kosten, die diesem Urteil nicht angemessen ist. Psychotherapieforschung kann nicht so gemacht werden, wie die Überprüfung von Pharmaka. Doppel-Blind oder Vergleichs-Studien sind absurd, da die Variablen, die Veränderungen hervorbringen können, so unendlich viele sind. M.E. haben auch die PsychoanalytikerInnen diese Hürde nie wirklich genommen. Als Systemische Familientherapeutin wundere ich mich, daß die Wirksamkeit des Verfahrens nicht nachgewiesen werden kann. Ich selbst habe während meiner Ausbildung bei Prof. Dr. Friedrich Balck, LIAP (Lübecker Institut für Angewandte Psychologie), jetzt Uni Dresden, jeden Fall umfassend dokumentiert. Zudem arbeiteten wir seinerzeit mit einer Begleit-Testbatterie zur Überprüfung unserer Arbeit bzw. Effiziens der Therapie (SCL-90-R, Psychokommunikativer Befund, B-L, VEV, Fambo bzw. Faces, Skalen nach Olson). Wir waren sicherlich nicht die einzigen, die hier Nachweise über positiv verlaufene Therapien erbringen könnten. Ich freue mich, daß Sie zu einer Diskussion aufrufen und würde mich noch mehr freuen, wenn sich die Mitglieder des Beirates motiviert fühlten, kreativ-konstruktive Bewegung zuzulassen.

Lieber Ulfried Geuter, ich freue mich immer wieder über Deine präzisen, gut recherchierten und aussagekräftigen Artikel. Das möchte ich Dir auf diesem Weg mitteilen, da ich nun schon sehr lange aus Berlin und vom PI weg bin und Du mit meinem Namen bestimmt nichts mehr anfangen kannst. Aber: Danke für so viel gute Öffentlichkeitsarbeit in unserem Metier. Die Sendung übers PsychThG im Deutschlandfund (?) oder NDR 4 eingeschlossen. Weiter so! Vielleicht lesen es auch mal die, die davon lernen können. 

Viele Grüße aus Westdeutschland, 
Antje Doll.

 

 

 

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