Zur These: Akute Selbstgefährdung des Patienten bricht die Schweigepflicht des Therapeuten
Der hier geäußerten Meinung sei dezidiert widersprochen.
Zum Einen ist in der Kurzfassung der Darstellung ein geradezu anti-therapeutisches Konzept impliziert, dass die Wichtigkeit und Tragweite einer therapeutischen Beziehung negiert.
Zum Zweiten ist die Nachricht definitiv falsch. Ein Arzt oder Psychologischer Psychotherapeut, der einen Patienten mit Selbstmordabsicht nicht meldet, macht sich juristisch in keiner Weise der unterlassenen Hilfeleistung schuldig, es sei denn, er hätte im Rahmen der Behandlung fahrlässig gehandelt.
Als fahrlässige Handlung würde ich eventuell auch eine Einweisung gegen den Willen des Betroffenen werten, die einen Abbruch der therapeutischen Beziehung bedeutet, und dann eine suizidale Handlung zur Folge haben kann (auch in einer Klinik); derartig Fälle sind bekannt. Außerdem: Wenn die, wie auch immer motivierte Absicht dieser Darstellung umgesetzt würde, müßten etliche neue Kliniken mit geschlossenen Stationen gebaut werden, da dann Therapeuten, die sich (noch?) imstande sehen, mit Suizidgefährdungen ambulant umzugehen, aufgrund angeblicher Strafandrohung von ihrer, zumeist, natürlich nicht immer, heilsamen Behandlungsstrtegie abzulassen.
Zum dritten ist gerade die Wahrung der Vertraulichkeit eine Grundvoraussetzung zur sinnvollen Behandlung von Menschen mit ernsthaften Todeswünschen.
Sicher ist es ein grundsätzliches Problem, wie ein Therapeut sich zur Selbstbestimmung eines anderen Menschen einstellt, und ob er notfalls imstande wäre, die Selbsttötung eines Patienten zu akzeptieren. Dies ist eine Frage der Selbsterfahrung und des eigenen Wertesystems.
Wer nicht imstande ist, eventuelle suizidale Handlungen seiner Patienten zu ertragen, sollte auf die Behandlung derartig betroffener Menschen verzichten. Dies beträfe dann insbesondere Menschen, die schon lange unter schweren psychosozialen Belastungen gelitten haben und in unterschiedlicher Weise traumatisiert sind, und einen erneuten gewaltsamen Eingriff in ihr Leben nicht mehr tolerieren könnten. Eine zwangsweise Einweisung sowie ein erzwungener Aufenthalt in einer (meist überbelegten) geschlossenen psychiatrischen Station bedeutet in aller Regel ein erneutes traumatisches Ereignis, was nur von Menschen ohne Kenntnis dieser Verhältnisse übersehen werden kann.
Eine juristische Problematik entstünde nur im Falle aktiver oder passiver Sterbehilfe, bei kunstfehlerhaftem Behandlungsverlauf oder bei Fremdgefährdung.
Dr. med. Thomas Soeder
Psychosomatische Medizin
Psychotherapie, Psychoanalyse,
Psychotraumatologie
Tübingen
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