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Zum Verbändespiel unter Psychotherapeuten
von tubölsky

Aber seit ich in Deutschland wohne
ist mein igeliges Leben gar nicht ohne.
Sie sind stolz, weil sie sich in Gruppen mühn -
doch sie sind nur gestörte Individühn.
Menschen? Mitglieder sind diese Leute.
Unsern täglichen Verband gib uns heute!
(Kurt Tucholsky)

IGELEIEN
frei nach Tucholsky

Der Igel sprach zum Oberkellner:
«Bedienen Sie mich ein bißchen schnellner!
Suppe - Gemüse - Rostbeef  und Wein!
Ich muß in den Deutschen Reichs-Igel-Verein! »

Da sprach der Oberkellner zum Igel:
«Ich hab so ein komisches Gefiegel
ich bediene sonst gerne, prompt und coulant,
aber ich muß in den Oberkellner-Verband! »

Der Igel saß stumm, ohne zu acheln,
und sträubte träumerisch seine Stacheln -
Messer und Gabel rollten über die Decke.
Sie rollten zum Reichsverband Deutscher Bestecke.

Des wunderte der Igel sich.
Er ging in "Für Herren" züchtiglich;
doch der Alte, der dort reine macht,
war auf der Deutschen Klosettmänner-Nacht.

Ein Rauschen ging durch des Igels Stoppeln -
er tät bedrippt nach Hause hoppeln
und sprach unterwegs
(und aß einen Keks):
«Ich wohne gern. Aber seit ich in Deutschland wohne
ist mein igeliges Leben gar nicht ohne.
Sie sind stolz, weil sie sich in Gruppen mühn -
doch sie sind nur gestörte Individühn.
Menschen? Mitglieder sind diese Leute.
Unsern täglichen Verband gib uns heute!
Amen. »
(sagte der Igel).

Gerd Böttcher:
Den Igel überkam ne feuchte Neurose
In der Unterdenstachelnhose
"Rein psyschisch" hört er von vielen Leuten.
"Du musst schleunigst zum Psyschotherapeuten."
Da wandert er nun seit vielen Jahren
je Stachel zu einem besondern Verfahren.
Und jedes Verfahren im deutschen Land
hat seinen eigenen Berufsverband.
Er hoffte bei Psyschos auf Individühn,
die eine eigene würzige Suppe brüh´n.
Doch wie blühende Landschaften einst versteppten
arbeiten sie arztgleich nur noch nach Rezepten.
Sie nennen das Richtlinientherapie
nach der der Krankenkassenverband so laut schrie;
und rühmen sich laut von früh bis spät
ihrer professionellen Identität.
Fast wie beim Rassepferd in den Arsch gebrannt, *)
zeigen sie den Stempel von ihrem Verband.
Denn fast wichtiger als Mann oder Frau,
man ist Mitglied in der UPV

Doch löst man sich endlich mit seinen Stacheln
aus Übertragung und andern murkswürdigen Sachen.
Plädiert man für "Freiheit den Stacheln" im Ländle
statt Therapien hinterm Stacheldraht der Verbändle.

tu-bö-29.10.2000
*) Fast alle reinrassigen Pferde erhalten ein Brandzeichen.
Anhand dessen kann der Geübte schnell das Zuchtgebiet (die Rasse) des Pferdes erkennen.
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Auszug aus:
Gerd Böttcher
Das merkwürdige Reden von der psychoanalytischen Identität

Die vielfach verleugnete Todestrieblehre Freuds zeigt uns die Identitätssuche auch als Abwehr gegen das Vergängliche. Doch das Suchen und Rufen nach der Identität ist nicht nur Widerstand gegen das Vergängliche und gegen den Tod. Es mobilisiert auch das Töten und Ausgrenzen. ''Der Schoß ist fruchtbar noch!", wie wir an der Wiedergeburt ausländerhaßerfüllter neuer Hitlerjungen und -mädchen in unserem Lande erschreckt erleben. Identität ist von negativer Identität nicht zu trennen. Adorno hat in seiner Negativen Dialektik einen Abschnitt "Nach Auschwitz" benannt. Aufklärung als Projekt einer fortschreitenden vernünftigen Durchdringung aller menschlichen Verhältnisse schlägt in ihr Gegenteil um. Philosophie, als Denken der Identität hat sich in ihrer destruktiven Wahrheit offenbart. "Auschwitz bestätigt das Philosophem von der reinen Identität als dem Tod ". Drei Jahre vor ihrer Verbrennung hier in Berlin waren die damals, 1931, vorliegenden 11 Bände als Gesammelte Werke Freuds veröffentlicht worden. Die literarische und politische Zeitschrift DIE WELTBÜHNE, deren Herausgeber, Karl von Ossietzky, eines der ersten Opfer der Nazis sein sollte, veröffentlichte mit der Unterschrift Kurt Tucholskys eine der schönsten Würdigungen: "Die Gesamtausgabe der Freudschen Schriften ist da. Elf Bände, die die Welt erschütterten. Einer der wenigen Männer, die diesen Mann richtig sehen, scheint Freud zu sein. Mit dem Lorbeergemüse seines Ruhms kann er die faulen Äpfel seiner Tadler garnieren, und wenn er weise ist, sieht er die Schar seiner Schüler an und denkt sich sein Teil. Lassen wir die schlechten Schüler, halten wir uns an die guten und halten wir uns an ihn. Langsam beginnt sich das Fleisch von diesem Werk zu lösen, das Zufällige, das Alltägliche - und es bleibt das Skelett. Wir können nicht sehen, was davon noch im Jahre 1995 lebendig sein wird, und ob überhaupt noch etwas lebendig sein wird, nämlich in der Form, die er ihm gegeben hat. Fortwirken wird es, das kann man sagen. Er hat eine Tür aufgemacht, die bis dahin verschlossen war. Es gibt Partien in diesen elf Bänden, besonders in den ersten, die muten an wie ein spannender Kriminalroman. Wie da die Theorien langsam keimen und aus den platzenden Hüllen kriechen, wie sie sich scheu ans Licht wagen, ins Helle sehen und plötzlich sehr bestimmt und fest auftreten: Nun sind sie da und leben und wirken. Die Darstellungskunst Freuds ist fast überall die gleiche: in den grundlegenden Schriften, in den kleinen Aufsätzen, so in dem wunderschönen Gedächtnisartikel für Charcot - überall ist ein klarer, methodisch ordnender Geist am Werk. Das Modische an diesen Schriften wird vergehen; die kindische Freude der Amerikaner und sonstiger puritanisch verbildeter Völker, nun einmal öffentlich über Sexualität sprechen zu können ...das hat mit Freud nicht viel zu tun. Bleiben wird der große Erneuerter alter verschütteter Wahrheiten -der Wahrheit: Der Wille des Menschen ist nicht frei. Die Grenzen Freuds werden in seinem Gesamtwerk erkenntlich. Er ist nicht der liebe Gott, doch hat er uns gelehrt, wieviel Krankheitsgeschichte in den gereizten Kritiken über ihn zu finden ist. Man versteht nicht, wenn man diese Bände nicht kennt. Sigmund Freud wird am 6.Mai fünfundsiebzig Jahre alt. Wir grüßen ihn voller Liebe und Respekt."
Das war s. Ich konnte Ihnen zum Schluß keine bessere Geschichte erzählen.

Gerd Böttcher
Bismarckstrasse 30
14109 Berlin

LINKs zu: (anklicken)

Gesamttext: Das merkwürdige Reden von der psychoanalytischen Identität

Vortrag: Identität und Fremdheit (Vortrag, gehalten auf dem DGPT-Kongreß in Lindau am 11.9.1992, überarbeitet 2014)


Originaltext von Tucholsky alias Theobald Tiger

Trunkenes Lied

Der Igel sprach zum Oberkellner:
»Bedienen Sie mich ein bißchen schnellner!
Suppe – Gemüse – Rostbeaf – und Wein!
Ich muß in den Deutschen Reichs-Igel-Verein!«

Da sprach der Oberkellner zum Igel:
»Ich hab so ein komisches Gefiegel –
ich bediene sonst gerne, prompt und coulant,
aber ich muß in den Oberkellner-Verband!«

Der Igel saß stumm, ohne zu acheln,
und sträubte träumerisch seine Stacheln –
Messer und Gabel rollten über die Decke.
Sie rollten zum Reichsverband Deutscher Bestecke.

Des wunderte der Igel sich.
Er ging in ›Für Herren‹ züchtiglich;
doch der Alte, der dort reine macht,
war auf der Deutschen Klosettmänner-Nacht.

Ein Rauschen ging durch des Igels Stoppeln –
er tät bedrippt nach Hause hoppeln
und sprach unterwegs
(und aß einen Keks):

»Ich wohne gern. Aber seit ich in Deutschland wohne,
ist mein igeliges Leben gar nicht ohne.
Sie sind stolz, weil sie sich in Gruppen mühn –
doch sie sind nur gestörte Individühn.
Menschen? Mitglieder sind diese Leute.
Unsern täglichen Verband gib uns heute!
Amen.«
(sagte der Igel).

Theobald Tiger
Die Weltbühne, 15.10.1929, Nr. 42, S. 602.
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