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Ambulante psychotherapeutische Versorgung ist bedroht -
Gesetzentwurf sieht bundesweit
die Schließung von bis zu 7.400 Praxissitzen vor

20.10.2014

 

Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT) e.V.
und des DGVT-Berufsverbands Psychosoziale Berufe (DGVT-BV) e.V.
zum Entwurf des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes

Man kann diese Politik nur noch als paradox bezeichnen: Nahezu flächendeckend müssen PatientInnen in Deutschland auch in dringenden Fällen wochen- oder teilweise monatelang auf Termine bei niedergelassenen PsychotherapeutInnen warten. Ein Missstand, auf den in jüngster Vergangenheit auch immer wieder in den Medien hingewiesen wurde. Alle Gesundheitsberichte der Krankenkassen über die Entwicklung der Morbidität und die Daten der Rentenversicherung über die Frühberentungsdiagnosen und ihre Entwicklungen zeigen, dass der Bedarf an psychotherapeutischen Behandlungen kontinuierlich steigt. Doch statt an einer dringend notwendigen Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung der Bevölkerung zu arbeiten, bereitet das Bundesgesundheitsministerium ein Gesetz vor, das zu einer dramatischen Verschlechterung der psychotherapeutischen Versorgung führen wird.

Der vor wenigen Tagen bekannt gewordene Referenten-Entwurf für das sogenannte GKV-Versorgungsstärkungsgesetz würde nach Berechnungen der Bundespsychotherapeutenkammer bei seiner Umsetzung die Schließung von bis zu 7.400 psychotherapeutischen Praxen in Deutschland nach sich ziehen.

Einmal mehr wird der gesundheitspolitische Skandal einer willkürlichen Bedarfsfestlegung aus dem Jahr 1999 zur Grundlage für eine „Zukunftsplanung“ der Anzahl  niedergelassener Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten gemacht. Längst wissen alle Akteure von den Kassenärztlichen Vereinigungen über die Krankenkassen bis hin zu den Gesundheitspolitikern in Bund und Ländern, dass diese zu einem Stichtag eingefrorenen Zahlen keinerlei Aussagekraft hinsichtlich des heute vorhandenen tatsächlichen und regional unterschiedlichen Bedarfs haben. Bereits im Jahr 2000 lagen wissenschaftlich fundierte Daten zum Bedarf vor, die aber weder damals noch jetzt berücksichtigt worden sind.

Noch nicht einmal die unterschiedliche Versorgung der PatientInnen in den Bundesländern würde durch den Gesetzentwurf angeglichen. Vielmehr dürften mit Ausnahme Sachsen-Anhalts in allen Ländern frei werdende Praxissitze niedergelassener PsychotherapeutInnen in rechnerisch „überversorgten“ Regionen nicht mehr neu besetzt werden. In Hessen, Berlin und Bremen würde der vorgegebene Abbau mehr als 40 Prozent aller Psychotherapie-Praxen betreffen, in Westfalen-Lippe 36 Prozent, in Hamburg 35 Prozent und in Bayern und Baden-Württemberg jeweils 32 Prozent. Sie müssten nach dem Gesetzentwurf von den Kassenärztlichen Vereinigungen aufgekauft werden.

Der Irrsinn hat Methode. In Wahrheit geht es auch bei diesem Gesetzentwurf wieder einmal nicht um die Bedürfnisse von PatientInnen, sondern um einen kaum verhüllten Versuch, über eine Verknappung von dringend benötigten Versorgungsstrukturen Kosten einzusparen. Wie kurzsichtig eine solche Politik ist, zeigt ein Blick auf die Folgen: „Lange Wartezeiten erhöhen das Risiko, dass sich psychische Erkrankungen verschlimmern, verlängern und wiederkehren. Unbehandelt verlaufen viele psychische Erkrankungen chronisch mit zunehmenden Komplikationen“, stellt die Studie der Bundespsychotherapeutenkammer fest. Mit zunehmender Dauer der Wartezeit steige außerdem der Anteil der Menschen, die eine ambulante Behandlung gar nicht erst beginnen. Ebenso werden PatientInnen verstärkt die Behandlung in Psychosomatischen Kliniken in Anspruch nehmen müssen – ein Trend, der bereits jetzt unübersehbar ist.

Wie hieß es hingegen noch so schön im Koalitionsvertrag zwischen CDU, SPD und CSU zu Beginn der Großen Koalition: „Wir wollen in der psychotherapeutischen Versorgung Wartezeiten reduzieren und mehr Betroffenen ein zeitnahes Angebot für eine Kurzzeittherapie eröffnen.“ Vor diesem Hintergrund kann der Gesetzentwurf lediglich als Dokument des Scheiterns gelesen werden. Die Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT) e.V. und ihr Berufsverband Psychosoziale Berufe (DGVT-BV) wird sich mit dem vorgelegten Entwurf und dessen absehbaren Folgen nicht abfinden. Wir fordern alle Akteure auf dem Gebiet der Gesundheitspolitik auf, gemeinsam gegen die vorhersehbare Versorgungskatastrophe in der ambulanten Psychotherapie vorzugehen.

Quelle: http://www.dgvt-bv.de/aktuell/

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