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Bundesverfassungsgericht
- Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 2/2000
vom 7. Januar 2000
Kammerentscheidung
zum Psychotherapeutengesetz
hier: Zur Fortgeltung der Rechte aus dem Delegationsverfahren
Eine approbierte Psychologische
Psychotherapeutin, die seit 1997 zur
Behandlung von Kassenpatienten im Delegationsverfahren zugelassen
war,
will erreichen, dass sie auf der Grundlage des seit Anfang 1999 in
Kraft
befindlichem Psychotherapeutengesetz (PsychThG) nunmehr zur
bedarfsunabhängigen vertragsärztlichen Versorgung zugelassen wird.
Sie
klagte deshalb gegen einen ablehnenden Bescheid des
Zulassungsausschusses der Kassenärztlichen Vereinigung vor dem
Sozialgericht. Dieses Verfahren ist noch anhängig.
Ihr weiterer Antrag auf vorläufige Zulassung im
Eilrechtsschutzverfahren
blieb erfolglos. Sozialgericht und Landessozialgericht sahen keine
Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin (Bf) einen
Anspruch auf
Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung haben könnte.
Die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde (Vb) hat die 2. Kammer
des
Ersten Senats des BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen, weil der
Rechtsweg nicht erschöpft sei. Zur verfassungsrechtlichen
Beurteilung
führt die Kammer ergänzend aus, dass die Rechte der Bf aus dem
Delegationsverfahren nicht bereits durch die Entscheidung des
Zulassungsausschusses erlöschen. Die entsprechende gesetzliche
Vorschrift sei verfassungskonform dahin auszulegen, dass dies erst
durch
eine bestandskräftige Entscheidung, also beispielsweise durch ein
rechtskräftiges Gerichtsurteil geschehen könne.
I.
1. Die Vb betrifft die Rechtstellung von approbierten
Psychologischen
Psychotherapeuten, die bis Ende 1998 im Delegationsverfahren
abgerechnet
haben, deren Antrag auf bedarfsunabhängige Zulassung zur
vertragsärztlichen Versorgung aber durch den Zulassungsausschuss
abgelehnt worden ist (vgl. Art. 10 des Einführungsgesetzes zum
PsychThG).
Delegation in der kassen- bzw. vertragsärztlichen Versorgung
bedeutete,
dass ein Psychotherapeut Behandlungskosten über einen zugelassenen
Arzt
zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abrechnen konnte. Der
Arzt delegierte also die Behandlung des Patienten an einen
Therapeuten.
Art. 10 des Einführungsgesetzes zum PsychThG lautet:
"Überleitungsvorschrift
Die Rechtsstellung der bis zum 31. Dezember 1998 an der
psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der gesetzlichen
Krankenversicherung teilnehmenden
nichtärztlichen Leistungerbringer bleibt bis zur Entscheidung des
Zulassungsausschusses über deren Zulassung oder Ermächtigung
unberührt,
sofern sie einen Antrag auf Zulassung oder Ermächtigung bis zum 31.
Dezember 1998 gestellt haben."
2. Die Bf wurde im September 1997 von der kassenärztlichen
Vereinigung
als Verhaltenstherapeutin zum Delegationsverfahren für die
Anspruchsberechtigten der Krankenkassen zugelassen. Auf der
Grundlage
des neuen PsychThG erhielt sie Anfang 1999 die Approbation zur
Psychologischen Psychotherapeutin.
Ihr Antrag auf bedarfsunabhängige Zulassung zur vertragsärztlichen
Versorgung lehnte der Zulassungsausschuss der kassenärztlichen
Vereinigung ab. Der Bescheid enthält den "Hinweis", dass
die Tätigkeit
im Delegationsverfahren durch diese Entscheidung beendet sei. Die
Klage
gegen diese Entscheidung ist noch beim Sozialgericht anhängig.
Ohne Erfolg blieb der Antrag der Bf, im Wege der einstweiligen
Anordnung
bis zur Entscheidung über die Klage an der vertragsärztlichen
Versorgung
teilnehmen zu können. Diesen Antrag lehnten das Sozialgericht und
das
Landessozialgericht ab.
Hiergegen erhob die Bf Vb und rügte u.a. die Verletzung von Art. 12
Abs.
1 GG (Berufsfreiheit). Ihr werde ohne rechtfertigenden Grund ein
schwer
wiegender Nachteil zugefügt. Ihre bisherige Rechtsstellung auf der
Grundlage einer uneingeschränkten Delegationsberechtigung werde ihr
entzogen; sie dürfe keine neuen Patienten aufnehmen und im
Delegationsverfahren behandeln.
II.
1. Die 2. Kammer des Ersten Senats hat die Vb nicht zur Entscheidung
angenommen. Ihr steht der Grundsatz der Subsidiarität entgegen.
Dieser
Grundsatz fordert, dass ein Bf alle zur Verfügung stehenden
prozessualen
Möglichkeiten ergreift, um die Korrektur der geltend gemachten
Grundrechtsverletzung oder Verletzung grundrechtsgleicher Rechte
herbeizuführen. Die Kammer führt aus, dass die Bf es versäumt
hat, alle
Möglichkeiten zu ergreifen, um einer Verschlechterung ihrer
bisherigen
Rechtsposition aus dem Delegationsverfahren zu begegnen.
2. Allerdings ist in Fällen wie dem der Bf davon auszugehen, dass
die
Rechte aus dem Delegationsverfahren nicht bereits durch die
Entscheidung
des Zulassungsausschusses erlöschen. Vielmehr ist Art. 10 des
Einführungsgesetzes zum PsychThG verfassungskonform dahingehend
auszulegen, dass unter der Entscheidung des Zulassungsausschusses
die
bestandskräftige oder rechtskräftige Entscheidung (z.B. ein
rechtskräftiges Urteil) zu verstehen ist. Denn auch eine Aufhebung
der
Delegationsberechtigung muss wie eine Zulassung oder Entziehung zur
vertragsärztlichen Versorgung verfahrensmäßigen Anforderungen
entsprechen, die vor Art. 12 Abs. 1 GG Bestand haben. Dazu gehört
der
Grundsatz der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage, der
als
adäquate Ausprägung der verfassungsrechtlichen
Rechtsschutzgarantie und
als fundamentaler Grundsatz des öffentlich-rechtlichen Prozesses
gilt.
Der Grundsatz bedeutet, dass eine behördliche Entscheidung nicht
sofort,
sondern erst nach Abschluss des behördlichen oder gerichtlichen
Verfahrens vollziehbar ist.
Im konkreten Fall behält also die Bf bis zur rechtskräftigen
Entscheidung über die zum Sozialgericht erhobene Klage ihre Rechte
aus
dem Delegationsverfahren. Dies gilt auch für andere vergleichbare
Fälle.
Beschluss vom 22. Dezember 1999 - Az. 1 BvR 1657/99 -
Karlsruhe, den 7. Januar 2000 |
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