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Zum Tod von Prof. Dr.med. Gerhard Fichtner
mit einem Beitrag von Dr.med. Mechthilde Kütemeyer, Köln-Hürth
und Prof. Henry (Zvi) Lothane, New York

Fichtner studierte in Leipzig Theologie und anschließend Medizin in Heidelberg, Freiburg, Zürich, Basel und Kiel. Er war als Arzt an Krankenhäusern in Stuttgart und Vaihingen an der Enz tätig, sowie als Assistent an den medizinhistorischen Instituten in Tübingen und Freiburg im Breisgau. 1970 wurde er Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Tübingen, wo er 1998 emeritiert wurde. Schwerpunkt seiner Forschungen und Veröffentlichungen war die Geschichte der Psychiatrie und der Psychoanalyse. Für seine Beiträge zur Geschichte der Psychoanalyse erhielt er die Ehrenmitgliedschaft der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung (DPV). Er wurde mit der Sudhoff-Plakette der Deutschen Gesellschaft für die Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik ausgezeichnet. Fichtner setzte sich für das Werk des schwäbischen Graphikers HAP Grieshaber ein und gehörte dem Rat der HAP Grieshaber Stiftung, die den Preisträger des Jerg-Ratgeb-Preises bestimmt, und dem HAP Grieshaber Freundeskreis an. Von 1998 bis 2006 war er Vizepräsident der Hölderlin-Gesellschaft. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Fichtner

Die Trauerfeier ist am 13.1., 12 h in St Martin und die Beerdigung um 14 h im Stadtfriedhof in Tübingen.

Das ist sehr traurig und ein persönlicher Verlust für mich. Mehr als 20 Jahre habe ich von Gerhard Fichtner viel Hilfe mit meinen Recherchen erhalten und viel Freundschaft erlebt. In den letzten Jahren hat er mit seiner Krankheit wie ein Held gekämpft um seine letzte Arbeit zu vollenden, Sigmund und Martha Freuds Brautbriefe. Ich werde ihn vermissen. Bitte mein Beileid an Frau Fichtner weiter zu leiten.  

Henry (Zvi) Lothane, MD, DLFAPA
Clinical Professor Department of Psychiatry
Mount Sinai School of Medicine
1435 Lexington Avenue New York, NY 10128(212) 534 5555
Schreber@lothane.com
www.lothane.com


Liebe Mitglieder des Archivvereins,

gestern Nachmittag, am 4 .Jan. 2012, ist Gerhard Fichtner in Tübingen verstorben.
Als Gründungsmitglied, Vorsitzender und wissenschaftlicher Beirat unseres Archivvereins hat er sich in den 21 Jahren große Verdienste erworben.
Mit einem Gruß
Michael Giefer
Sekretär des Archivs zur Geschichte der Psychoanalyse

Dazu Schreiben von Dr.med. Mechthilde Kütemeyer

Lieber Herr Giefer
das ist traurig und ein Verlust für uns alle ...

wann haben Sie ihn zuletzt gesehen? wissen Sie etwas darüber, wie er gestorben ist? einigermaßen versöhnt mit sich und der Welt? hatte er noch Schmerzen?
(wie es ja bei vielen Menschen mit bösartiger Erkrankung im Endstadium der Fall ist: Karzinomschmerz siehe Anhang als pdf-Datei)

Fichtner hat mir viel geholfen all die Jahre, ich konnte ihn zu jeder Tageszeit , auch abends, anrufen, er nahm sich immer Zeit.
Meist konnte er meine medizinhistorische Frage direkt beantworten. Seit er die Gesammelten Werke von Freud im PC hatte konnte ich jede noch so entlegene Freud-Stelle von Fichtner sofort erfahren. (inzwischen gibt es ja Ihre CD)

Vor allem bei der Übersetzung der französischen Freud-Arbeit (1893c) war Fichtner immer wieder sehr hilfreich.
Als die deutsche Fassung 1997 im Jahrbuch der Psychoanalyse erschien, habe ich Fichtner ja dankend erwähnt.

Und als ich 2006 einen Vortrag zum 150. Geburtstag Freuds im DPV-Institut in Köln halten sollte - ich wollte den Neurologen Freud betonen - , hat er mir am Telefon viel über die neurologischen Tätigkeiten und Forschungen Freuds vor 1895 erzählt, er hatte die Einzelheiten genau im Kopf. Und zwei Tage später erhielt ich per Post alle neurologischen Arbeiten Freuds als Kopie geschickt, über 1000 Seiten, spannende neurologische, kinderneurologische und neuropathologische Abhandlungen! Fichtner selbst hatte ja gerade eine Arbeit darüber "Aus dem Keller der Psychoanalyse" publiziert.

Beim Lesen war ich total fasziniert:
Unübertroffen die Genauigkeit der klinischen Beobachtungen Freuds, die Schlüssigkeit seiner differenzialdiagnostischen Erwägungen, seiner theoretischen Überlegungen - ein neurologischer Hochgenuss! Unendlich viele minutiös beschriebene Krankenbeispiele, mit zusätzlich, für mich überraschend, jeweils genauen Angaben zur Biographie, zur familiären und sozialen Situation der Kranken, der Kinder, und Überlegungen zur Verbindung von psychosozialem Hintergrund mit Entstehung, Eigenart und Verlauf der Krankheit.
Eine Fundgrube  der psychosomatischen Neurologie (bis heute wenig beachtet, geschweige denn ausgehoben).

Und Gerhard Fichtner freute sich über meine Rückmeldung, Ich spürte richtig durch die Telefonleitung seine Genugtuung, die von ihm mühsam gesammelten neurologischen Schriften in so neugierig wertschätzenden Händen zu wissen.

Als ich später über Äquivalenz (von Psyche und Soma) bei Freud, Janet und Weizsäcker arbeitete und wieder Fichtner zu Rate zog, war das Ergebnis erneut überraschend. Ich hatte vermutet, dass der Begriff von Weizsäcker stammt und bei ihm zentral ist, allenfalls bei Janet eine Rolle spielt, bei Freud nur marginal vorkommt. Fichtner fand auf  Anhieb über 200 Stellen bei Freud! - die ich noch immer nicht fertig aufgearbeitet habe.

So festigte sich mit den Jahren unsere Telefonfreundschaft.

Ja, das war es: Er freute sich, wenn seine mühsamen Forschungen zur Geschichte der Psychoanalyse in seinem kleinen Institut in Tübingen außerhalb auf fruchtbaren Boden fielen - nicht nur bei Medizinhistorikern, nicht nur bei Psychoanalytikern, sondern bei handfesten Klinikern -, wenn seine Schätze abgerufen wurden, deshalb war er immer so spontan und freigebig im Mitteilen, im Weitergeben seiner Funde.

Und das wird sich fortsetzen , so hoffe ich, auch nach seinem Tod, dass wir seine unschätzbaren Funde aufgreifen und damit arbeiten, das weiß ich zumindest für mich. Deshalb kann er stolz sein auf sich, was er alles angeregt und angestoßen hat, und wir sind stolz auf ihn und freuen uns, dass wir so viel daran teilhaben durften - und teilhaben werden.

Die Trauerfeier ist schon morgen, 13.1., 12 h in St Martin und die Beerdigung um 14 h im Stadtfriedhof in Tübingen.
Ich muss schauen, ob ich hinkommen kann.

Herzlich
M. Kütemeyer

Dr. med. Mechthilde Kütemeyer
Burg Kendenich 17
50354 Köln-Hürth
E-Mail: kuete@arcor.de 

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