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Wissenschaftlicher Beirat der ARBEITSGEMEINSCHAFT HUMANISTISCHE PSYCHOTHERAPIE (AGHPT)
Prof. Dr. Jürgen Kriz, Universität Osnabrück
Prof. Dr. Volker Tschuschke, Sigmund Freud Privatuniversität Berlin
Prof. Dr. Dirk Revenstorf, Universität Tübingen
Prof. Dr. Mark Helle, Hochschule Magdeburg-Stendal,

 

Offener Brief
An den Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie (WBP)
c/o Bundespsychotherapeutenkammer Klosterstraße 64 10179 Berlin
5. Dezember 2014


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
als Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats der „Arbeitsgemeinschaft Humanistische Psychotherapie“ (AGHPT) wählen wir diese Form eines offenen Briefes, um eine aus unserer Sicht überfälligen wissenschaftlichen und fachlichen Diskurs über die Beurteilung der „wissenschaftlichen Anerkennung“ der Humanistischen Psychotherapie (HPT) zu eröffnen. Spezifisch geht es uns zunächst um die Beurteilung der im WBP nun seit Jahren virulenten Frage, ob die HPT als ein Verfahren gemäß Psychotherapie-richtlinien – analog zu den Richtlinienverfahren „Verhaltenstherapie“ (VT) oder „Psychodynamische Psychotherapie“ (PD) – angesehen werden kann.

Aktueller Anlass ist das Schreiben des WBP vom 13.10.2014, in dem dieser u.a. feststellt, dass die Fragen des WBP vom 27.2. 2014 nach seiner Meinung „noch nicht bzw. noch nicht ausreichend beantwortet“ wurden. Hierzu fehlt nicht nur jegliche sachliche Begründung, sondern es fehlt auch jegliche Spezifizierung, bei welchen Fragen welche Aspekte „nicht bzw. noch nicht ausreichend beantwortet“ wurden, welche Informationen dem WBP ggf. fehlen. Völlig unklar ist, was die (wissenschaftliche begründete) Grundlage für diese Bewertung sein könnte, und wie im Vergleich dazu wohl eine „ausrei-chende“ Antwort - z.B. für die Richtlinienverfahren - aussieht. Das ist überaus unbefriedigend.

Die AGHPT hat in ihren Anträgen vom 10.11.2011 und vom 12.10.2012 sowie in der „Stellungnahme der AGHPT zu den Fragen des WBP“ vom 10.6.2014 jeweils recht umfangreiche, mit vielen Details und weiteren Unterlagen versehene Begründungen vorgelegt, warum die HPT entsprechend den deutschen Rahmenbedingungen der Psychotherapierichtlinien und des Methodenpapiers als ein Verfahren anzu-sehen ist, das in seiner Einheitlichkeit gegenüber den Richtlinienverfahren keinesfalls geringer ausfällt. Es war der AGHPT dabei wichtig transparent zu machen, warum eine solche Beurteilung grundsätzliche Probleme enthält – die allerdings für sämtliche Verfahren, also insbesondere auch die VT und PD min-destens gleichermaßen gelten – die aber nun einmal der deutschen Richtlinienstruktur geschuldet ist (überall sonst auf der Welt wird das, was in der BRD als jeweils „ein“ Richtlinienverfahren gilt, zuneh-mend als zahlreiche kleine und spezifische „Approaches“ weiter entwickelt, erforscht, und evaluiert. Und eine Veröffentlichung im angesehenen APA-Journal „Psychotherapy“ von 2010 zeigt, dass lediglich 2% - d.h. 59 von 2.200 befragten – Psychotherapeuten in den USA sich genau einem Verfahren zuord-nen). Da auch die deutschen Richtlinienverfahren von dieser internationalen Entwicklung nicht abge-koppelt sind, umfassen diese jeweils ein sehr großes Spektrum an heterogenen Konzepten und Ansät-zen – was durch Forderungen wie „Indikationsbreite“ nochmals unterstrichen wird.

Wir hielten es für wissenschaftlich unredlich, wenn diese Tatsache bezüglich der Richtlinienverfahren nicht gesehen und zum Vergleichsmaßstab genommen würde, sondern die HPT nun im Kontrast dazu anhand abstrakter, realitätsferner und wissenschaftlich nicht begründbarer „Reinheitsvorstellungen“ beurteilt werden würde. Es ist für uns auch nicht nachvollziehbar, wie bei der großen Heterogenität von mindestens 21 psychodynamischen Methoden innerhalb einer einzigen Sitzung des WBP die Einheitlich-keit der PD festgestellt werden konnte, während eine solche Feststellung bezüglich der HPT nun seit Jahren im WBP beraten wird und immer neue Fragen kreiert werden.

Jedenfalls hat der WBP auf die drei umfangreich begründeten Papiere der AGHPT – die als Diskurs-angebote zu werten sind – nach nunmehr über drei Jahren kein einziges Gegenargument vorgelegt. Stattdessen wird aus den stets geheimen Beratungen, die völlig unbegründete Pauschal(ent)wertung: „nicht bzw. noch nicht ausreichend beantwortet“ getroffen. Damit weigert sich der WBP nach drei Jahren weiterhin, den in seinem Methodenpapier 2.8. vorgesehen ersten Schritt – von „fünf aufein-ander aufbauenden Schritten“ – zu vollziehen, nämlich die „genaue Fragestellung des Gutachtens … in Abstimmung mit dem Antragsteller“ festzulegen und „im Gutachtenprotokoll festzuhalten“. Wozu ja wohl fraglos die Benennung des Verfahrens gehört, über dessen wissenschaftliche Anerkennung beraten werden soll.
Aus unserer Sicht ist es daher überfällig, in Fachkreisen und der Scientific Community zu erörtern, ob es wissenschaftliche Gründe geben könnte, der HPT nicht mindestens denselben Grad an Einheitlichkeit zuzusprechen, wie dies für die Richtlinienverfahren unterstellt wird. Es ergeben sich Fragen wie: ob im WBP wissenschaftliche Kriterien zur Beurteilung der „Einheitlichkeit“ entwickelt wurden, welche das sein könnten, wie weit diese auch für die derzeitigen RL-Verfahren zutreffen oder ob man die HP nach völlig anderen Gesichtspunkten beurteilt – und falls ja: mit welchem Grund. Der Umgang mit solchen Fragen ist nicht durchsichtig und wirkt daher beliebig.

Wir haben Verständnis dafür, dass ein Gutachtergremium hinsichtlich sämtlicher Aspekte, die irgend-etwas mit personenbezogenen Standpunkten oder Entscheidungen zu tun haben, strikte Vertraulichkeit und Geheimhaltung pflegt. Wir halten aber Geheimhaltung, Vertraulichkeit und Intransparenz in Bezug auf wissenschaftliche Sachfragen durch einen „Wissenschaftlichen Beirat“ für nicht angemessen. Denn es gibt wissenschaftstheoretisch gute Gründe für den weiten Konsens in der Scientific Community, dass Wissenschaft sich vor allem durch Transparenz, rationale Argumentation, Offenheit und Diskursbereit-schaft von anderen sozialen Gruppenaktivitäten und Institutionen abheben sollte. Wir hoffen, dass der WBP diesen Konsens der Scientific Community teilt.
Indem wir nun diesen offenen Brief schreiben, erhoffen wir, dass eine überfällige Auseinandersetzung mit rationalen und wissenschaftlichen Argumenten eröffnet wird - vor den Augen der Fachwelt und der Wissenschaft.

Da die umfangreichen Begründungen in den drei o.a. Papieren der AGHPT zu detailliert und differenziert sind, um einen so breiten Erörterung zu eröffnen, möchten wir mit wenigen exemplarischen – aber hoffentlich zentralen – Fragen beginnen:

(Da, wie vielfach begründet, die Fragen zur „Einheitlichkeit“ eines Psychotherapieverfahrens nur komparativ beurteilt werden können, beziehen wir uns bei der VT und ihren Methoden sowie der PD und ihrer Methoden auf die (in Abstimmung mit den jeweiligen Verbänden) vorgelegten Seitens der BPtK aus dem Jahre 2009:
BPtK (2009a): Stellungnahme zur Prüfung der Richtlinienverfahren gemäß §§ 13 bis 15 der Psychotherapie-Richtlinie. „Psychoanalytisch begründete Verfahren“. Stellungnahme der Bundespsychotherapeutenkammer vom 10.11.2009
BPtK (2009b): Stellungnahme zur Prüfung der Richtlinienverfahren gemäß §§ 13 bis 15 der Psychotherapie-Richtlinie, Verhaltenstherapie. Stellungnahme der Bundespsychotherapeutenkammer vom 10.11.2009
Hierzu gehören insbesondere die dort aufgezählten 21 Methoden der PD, sowie die zu 5 (Unter)clustern zusammenfassten 53 „Techniken“ zugeordneten konzeptionellen Vorgehensweisen der VT (Vgl. die Gegenüberstellung von PD, VT und HPT im Antrag der AGHPT 2012, S. 33-36).
)

1. Welche wissenschaftlich begründbaren Kriterien legt der WBP der Beurteilung der „Einheitlichkeit“ der HPT zugrunde?

2. Uns sind nur die eigenen Einschätzungen seitens der VT bekannt, welche die Nicht-Einheitlichkeit der VT betonen – so z.B. in der o.a. BPtK-Stellungnahme 2009: „Bei der Verhaltenstherapie handelt es sich nicht um ein homogenes Verfahren, sondern um eine Gruppe von Interventions-methoden,..“, was u.a. auch dem Gutachten des WBP zur VT aus 2003 entspricht („lässt sich keine abgeschlossene und homogene theoretische Grundlegung der Verhaltenstherapie konsta-tieren“).
a) Wo ist inzwischen die Einheitlichkeit der VT dargestellt und begründet – und lässt sich da-raus ableiten, warum die HPT nach Sicht des WBP weniger einheitlich sein könnte?
b) Wo sind die nach Sicht des WBP für die HPT „noch nicht bzw. noch nicht ausreichend beant-worteten“ Fragen für die VT entsprechend „ausreichend“ beantwortet?

3. Analog sind uns auch zur PD zahlreiche Publikationen bekannt, in denen sich bereits die Rich-tungen der Psychoanalyse (u.a. nach Freud, Adler, Jung, Ammon) theoretisch-konzeptionell und im Vorgehen gegeneinander abgrenzen. Diese Heterogenität erscheint uns nun noch weit größer, wo sich Psychoanalyse ja nur noch als eine von 21 „Methoden“ der PD darstellt.
a) Wo ist die Einheitlichkeit der PD nach Sicht des WBP so dargestellt und begründet, dass diese größer/homogener erscheinen könnte als die der HPT?
b) Wo sind die nach Sicht des WBP für die HPT „noch nicht bzw. noch nicht ausreichend beant-worteten“ Fragen für die PD entsprechend „ausreichend“ beantwortet?

4. Sofern es (wie wir vermuten) für (2) und (3) weder klare Kriterien noch Gründe gibt, welche überzeugend eine die größere Einheitlichkeit der VT und/oder der PD als der HPT sprechen:
Gibt es wissenschaftliche Gründe, warum der WBP die Einheitlichkeit der HPT in Relation zu der der Richtlinienverfahren noch immer nicht nachvollzogen hat?
Nun noch – exemplarisch und ergänzend – wenige spezifische Fragen, in Analogie zu den Fragen, die der HPT gestellt wurden:

5. (Analog zu Frage 1.4.): Wo ist für die VT und/oder die PD konzeptionell oder an Beispielen dar-gestellt, wie die teilweise sehr unterschiedlichen 21 Methoden der PD bzw. die zu 5 Clustern zusammengefassten 53 Techniken der VT je nach Indikation in einer Behandlung einer bestimmten Person miteinander kombiniert werden können?
a) Aufgrund welcher Behandlungstheorie kann z.B. “massierte Reizkonfrontation in vivo/in sensu“ mit „Achtsamkeitsübungen“ und „Neurofeedback“ kombiniert werden?
b) Aufgrund welcher Behandlungstheorie kann z.B. Psychoanalyse nach Jung mit „Mentali-sation Based Treatment“ und „kognitiv-psychodynamische Psychotherapie nach M. Horo-witz“ kombiniert werden?

6. Nach welchen Indikationsregeln werden diese Methoden bei einem Behandlungsfall kombiniert (analog zu Frage 1.2)?

Es ist sicher interessant für die Fachwelt zu erfahren, wie die „ausreichenden“ Antworten des WBP im Gegensatz zu denen von der AGHPT in Bezug auf die HPT aussehen.

Wir hoffen, dass ein öffentlicher Diskurs mit wissenschaftlichen Kriterien und transparenten Argu-menten dazu beitragen könnte, dass der WBP die Einheitlichkeit der HPT in Relation zu jener der Richtlinienverfahren setzt und daher diese nicht länger einseitig problematisiert oder gar bestreitet.

Für den Wissenschaftlichen Beirat der AGHPT:
gez. Prof. Dr. Jürgen Kriz, Universität Osnabrück, Seminarstrasse 20, 49074 Osnabrück. kriz@uos.de

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